Waggons eines Zuges, auf denen der Firmenname LEAG steht, werden von einem Gerüst aus mit Kohle befüllt. Flutlicht beleuchtet die Anlage.

Film

Auf der Kippe

Mit dem kommenden Kohleausstieg steht in der Lausitz die Zukunft einer ganzen Region sprichwörtlich auf der Kippe. Wie weit können die Menschen den Strukturwandel aktiv mitbestimmen?

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2021
Datum:
Sendetermin
14.10.2024
22:25 - 23:55 Uhr

Der Dokumentarfilm begleitet mehrere Menschen der Region dabei, wie sie sich für die Zukunft ihrer Heimat engagieren. So wird deutlich, welche Interessen in der vom Bergbau und permanenten Umbrüchen geprägten Grenzregion in Zeiten der Energiewende kollidieren.

Die Lausitz, eine Region am östlichen Rand Deutschlands, aber mitten in Europa gelegen, hat schon viele Veränderungen erlebt. Der Braunkohleabbau prägte die regionale Identität und den Wohlstand von Generationen. Nach der Wende folgte eine Deindustrialisierung von historischem Ausmaß, von der sich die Region noch immer nicht erholt hat und durch die viele Menschen Arbeit und Zukunftsperspektiven verloren haben.

In einer schmalen Kanzel mit großen Scheiben im Gerüstaufbau eines großen Baggers sitzt eine Frau und bedient Schalthebel. Unter ihr sieht man die Hänge des Tagebergbaus, aus denen sie die Kohle baggert.
Die Baggerführerin Silke in ihrer Kanzel bei der Arbeit im Braunkohletagebergbau.

Mit dem lang geplanten und inzwischen gesetzlich beschlossenen Kohleausstieg steht die Lausitz abermals vor einem tiefen Einschnitt. Das neue Schlagwort lautet "Strukturwandel", und eine ganze Region muss sich wieder neu definieren. Doch wollen die heute in Verantwortung stehenden Politiker der Region keinesfalls die Fehler der Vergangenheit wiederholen.

Die Dokumentarfilmerin Britt Beyer zeigt in eindrucksvollen Bildern eine traditionsreiche Region im Wandel und begegnet Menschen, von denen viele, wie die Baggerführerin Silke, um ihre Arbeitsplätze im Braunkohlerevier bangen, während andere, wie die Aktivistin Reka, aus Gründen des Umweltschutzes gerade gegen die Fortsetzung des Tagebergbaus kämpfen.

Dazwischen agiert der Bürgermeister von Weißwasser, der die Stadt für Zukunftstechnologien und als Ausbildungsstandort so attraktiv machen will, dass auch wieder junge Leute dort leben wollen. Derweil wird für die Erweiterung der Kohleförderung noch immer ein Dorf abgerissen, was für die Bewohner bedeutet, dass sie umgesiedelt werden.

Der Film erzählt von Erinnerungen, Ängsten und Wünschen all dieser Menschen und von ihrem unbedingten Willen, die Zukunft ihrer Heimat aktiv mitzubestimmen.

Britt Beyer hat seit ihrem ersten langen Dokumentarfilm "Der junge Herr Bürgermeister" (2003) zahlreiche Dokumentarfilme für Kino und Fernsehen realisiert, darunter "Werden Sie Deutscher" (2011), sowie an Großproduktionen wie "24 Stunden Berlin" mitgearbeitet. "Auf der Kippe" hatte seine Uraufführung beim "DOK.fest München" 2023 und lief im Herbst 2023 in den deutschen Kinos.

3sat zeigt "Auf der Kippe" als Free-TV-Premiere.

Interview mit Britt Beyer

Wie bist Du auf das Thema des Films gestoßen?

Portrait von Britt Beyer
Britt Beyer

Mich zieht es mit meinen Filmen immer wieder in die Regionen jenseits der Metropolen. Der Brennglaseffekt, einen Kosmos entdecken, in dem auf kleiner Fläche alle Konflikte sichtbar werden. Die Lausitz, eine der drei Bergbaureviere des Landes, war eine Gegend, die ich noch nicht kannte. Zu DDR-Zeiten hatten Orte wie Weißwasser, Schwarze Pumpe und Spremberg einen Glanz, weil sie die ganze Republik mit Energie versorgten. Der Strukturwandel der 90er Jahre war ein Kahlschlag für die Region. Betriebe und die Menschen wurden abgewickelt, zwei Drittel der Bevölkerung ging in den Westen, dorthin, wo es Arbeit und Zukunft gab. Mit den Landtagswahlen 2019 richtete sich der Blick wieder auf die Lausitz: Ein Drittel der Bevölkerung, auch die junge Generation, hatte die AfD gewählt. Das war bestürzend. Die Medien fanden schnell eine Erklärung: die Sozialisation in einer Diktatur. Ich wollte herausfinden, inwiefern die Entwicklungen und Enttäuschungen der Nachwendezeit damit in Verbindung stehen könnten. Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Lang genug, wie es oft hieß, um diese alten Zeiten endlich hinter sich zu lassen. Aber in der Lausitz ist die Vergangenheit eben auch noch Gegenwart. Während meiner Recherchen wurde der Kohleausstieg 2038 beschlossen. Damit schärfte sich der Fokus für den Film: Wie erleben Region und BewohnerInnen, deren Identität eng mit der Kohle verbunden ist, die bereits einen massiven Strukturbruch in den 1990er Jahren verkraften mussten und sich seit Jahrzehnten in einem ständigen Transformationsprozess befinden, den neuen Strukturwandel? Mir ging es um den Versuch einer Zustandsbeschreibung, unter den neuen Herausforderungen und den damit verbundenen Ängsten und Hoffnungen, aber auch um Zukunftsvisionen für die Zeit nach dem Kohleausstieg.

Der Film entzieht sich trotz politischen Themas einer direkten Auseinandersetzung mit dem großen Diskurs um die AfD im Osten. War das eine bewusste Entscheidung?

Ja, wir haben lange überlegt und diskutiert. Mir war es wichtig, die Menschen zu Wort kommen zu lassen, ohne dass erstmal im Vordergrund steht, welche Partei sie wählen. Unser Anliegen war es, die Komplexität der Lage zu vermitteln, und dafür die unterschiedlichen AkteurInnen mit ihrer Perspektive in eine Art unsichtbaren Dialog treten zu lassen.

Der Film stellt ja sehr umfassend die Forderungen, Wünsche und Sorgen der Menschen in Weißwasser dar, auch sehr gegensätzliche Persönlichkeiten. Kam es zu irgendeinem Zeitpunkt auch zu Begegnungen zwischen den konträren Protagonist:innen?

Während des Drehs gab es keine Begegnungen, mit Ausnahme der Bergarbeiterin Silke Butzlaff und dem Oberbürgermeister von Weißwasser, Torsten Pötzsch, deren Wege sich kreuzten. Das war natürlich eine Situation, die wir unbedingt filmen wollten, sie haben sich sozusagen vor unserer laufenden Kamera kennengelernt. Auf der Premiere in Weißwasser trafen sich alle ProtagonistInnen des Filmes - das war aufregend. Alle auf einer Bühne. In der Diskussionen wurden die unterschiedlichen Standpunkte schon sehr deutlich, auch hinsichtlich aktueller Entwicklungen, die dort weitergehen, wo der Film aufhört.

Die Gespräche und Bemühungen aller Beteiligten sind zukunftsgewandt und zeugen von dem großen Willen, eine Zukunft in der Region möglich zu machen und diese zu gestalten. Wie bewertest Du diese Bemühungen inzwischen?

Ich habe großen Respekt vor allen, die sich für die Region engagieren. Sei es der Oberbürgermeister von Weißwasser, der sich jahrelang neben der alltäglichen Herausforderung kommunaler Arbeit unermüdlich um den Strukturwandel in seiner Stadt kümmert, sei es die Klimaaktivistin, die in die Lausitz gezogen ist, um sich dort dem Klimaschutz zu widmen oder die Baggerführerin, die mit Gleichgesinnten versucht, für einen aus ihrer Sicht realistischen Kohleausstieg 2038 einzutreten. Es ist eine Mammutaufgabe. Für alle. Oftmals hat man das Gefühl, es geht einen Schritt vorwärts, zwei zurück. Aktuell ist es ein großer Einschnitt für Weißwasser, dass Torsten Pötzsch nach 14 Jahren im Amt nicht noch einmal als Oberbürgermeister kandidiert, aus privaten und gesundheitlichen Gründen, aber auch, weil er immer wieder Anfeindungen erlebt hat. Ein Urteil, das die Klimaaktivistin Reka Schwarzbach mit der Grünen Liga erstritten hatte - den Abbaustopp im Tagebau Jänschwalde wegen unrechtmäßigen Abpumpens von Grundwasser - wurde kurz darauf, nach Ausbruch des Ukraine Krieges, mit dem Argument der Versorgungssicherheit aufgehoben. 2023 wurde der Betrieb im Tagebau Jänschwalde eingestellt. Es gibt sehr viel Engagement in der Lausitz, gerade in der sogenannten Kernbetroffenheits Region, von kommunaler Seite, aber auch aus der Bevölkerung…es gibt unzählige, auch kleine Initiativen, die etwas bewegen wollen. Sie sollten jede Unterstützung bekommen, vor allem auch die finanzielle, aus den Förder-Geldern. Diesen Strukturwandel „von unten“ braucht die Region. Es ist ein Umdenken.

Hat sich Dein Blick auf das Thema durch den Film geändert?

Das Schöne am Dokumentarfilme machen ist ja, dass man ständig lernt. Ins Gespräch kommt mit unterschiedlichen Menschen. Andere Perspektiven hört. Man ist damit nahe dran, sozusagen behind the scene, es ermöglicht neue Erkenntnisse, aber gleichzeitig neue Fragen. Mir ist z.B. bewusst geworden, dass es ggf. ganz anders und früher mit dem Kohleausstieg kommen kann, nämlich dann, wenn sich die Gewinne für die LEAG, den einzigen Bergbaubetreiber im Lausitzer Revier, nicht mehr auszahlen. Jetzt setzten sie darauf, das größte Zentrum erneuerbarer Energien in Deutschland zu werden. Die Länder und Kommunen müssen handeln, um zu verhindern, dass in Sachsen und Brandenburg nach der Kohle eine einzelne Aktiengesellschaft das Monopol für grüne Energien besitzt.

Wie wurde die Musik ausgewählt, die durch den pointierten Einsatz eine sehr spezielle Stimmung vermittelt?

Jazz…ja, das war die Idee der Editorin Janine Dauterich. Sie hat sich in einer Nacht hingesetzt und unterschiedliche Musik ausprobiert, auch Jazz. Joachim und Rolf Kühn kannte sie persönlich, so dass wir uns die Musik am Ende auch leisten konnten. Ich war sofort begeistert. Für mich haben die Stücke etwas Eigenständiges, mal melancholisch, mal ironisch…auch etwas Zeitloses, was die Landschaft damit stärker zur Protagonistin macht.

Die Fragen stellte Sarah Touihrat

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