Dokumentation
Himba, Buschmänner und Löwen - Wildnis- und Kulturmarketing in Namibia
Namibia entwickelte ein Modell des Naturschutzes, das weltweit Beachtung findet. Im Rahmen von kommunalen Schutzgebieten wurden der Lokalbevölkerungen die Verantwortung über "ihre" Wildtiere übertragen.
- Produktionsland und -jahr:
- Datum:
- Sendetermin
- 09.12.2024
- 14:15 - 15:05 Uhr
Ein Reisebus nähert sich dem San-Dorf Grashoek. Noch bevor der Bus unter einem Baobab-Baum zum Stillstand kommt, fotografieren die Insassen aus den Fenstern. Die sogenannten "Buschmänner" gehören zu den versprochenen Highlights der Rundreise. Sie selbst nennen sich San oder mit dem Namen ihrer Sprachgruppe Ju|'hoansi. Dementsprechend heißt ein Schild die Besucher willkommen: "Welcome to the Ju|'hoansi Living Museum".
Besuch im Lebenden Museum
Manche erwarten sich - wie im Reiseprospekt versprochen - ein seltenes Aufeinandertreffen mit einem wie in alten Zeiten lebenden "Jäger und Sammler"-Volk. Doch die folgende Begegnung hat wenig gemeinsam mit üblichen Szenarien im Kultur-Tourismus. Keine anstürmenden Kinderscharen, keine laufenden Frauen, die aufgeregt Handwerkskunst anbieten und auch keine jungen Männer, die gegen Entgelt als Fotomotive posieren. Ein einzelner Ju|'hoansi San in westlicher Kleidung zückt seine Papiere, die ihn als Manager des Lebenden Museums ausweisen. Höflich fragt er nach dem Gruppenleiter und übergibt eine Mappe - in der Art einer Speisekarte - mit den kulturellen Angeboten und den dafür verlangten Preisen. Abgestuft nach der Anzahl der Touristen und der Anzahl der gewünschten Teilnehmer auf San-Seite. Von einer einfachen Dorfbesichtigung bis zum Trance Tanz, der Teilnahme an einem Kurz-Workshop zur Schmuckproduktion aus Straußeneischalen, dem Training im Bogenschießen, der Teilnahme an einer traditionellen Jagd und letztlich der Verheiratung auf "Bushmen-Art" ist alles möglich. Jede Aktivität hat ihren fixen Preis und es gibt genaue Angaben über die Dauer und Art der Leistung.
Nicht viel anders läuft das touristische Kulturprogramm - oder "Ethnotainment" bei den berühmten Himba - oftmals als Namibias "Ockermenschen" bezeichnet - in der Kunene-Region ab. Der Besuch von Lebenden Museen oder sogenannten Kulturdörfern gehört zum festen Bestandteil einer Namibiareise wie die Besichtigung der Namib-Wüste oder des Etosha Nationalparks. Auch im Safari-Tourismus werden immer mehr kulturelle Inszenierungen ins Ausflugsprogramm eingebaut. In den meisten Dokumentarfilmen und Reportagen werden die dabei dargebotenen Versatzstücke "traditioneller Kultur" aber als authentisch und zumeist stein(zeit)alt dargestellt. Das Gegenteil ist der Fall: aus ethnologischer Sicht handelt es sich um moderne, in vielerlei Hinsicht sogar "postmoderne" Choreographien, die eine zumeist imaginierte Tradition repräsentieren sollen.
Selbstbestimmte Vermarktung der eigenen Kultur
Es entspricht vor allem bei indigenen Völkern einem internationalen Trend der Kulturvermarktung, aus lebenden Kulturen museale Einheiten zu machen, die sich selbst vermarkten. Entscheidend ist, inwieweit diese Vermarktung selbstbestimmt - nach eigenen Kriterien - und insbesondere auf eigene Rechnung geschieht. Daher geht diese Dokumentation der Frage nach, wie sich das Leben in einem "Lebenden Museum" anfühlt. Was bedeutet diese Form der kommerziellen Verwertung kultureller Kompetenzen und ethnischer Geschichte für die betroffenen Menschen? Und welche Fragen wirft die kommerzielle Verwertung ihrer kulturellen Besonderheiten für sie selbst auf? Der Film lässt ausführlich jene Menschen zu Wort kommen, die oftmals als Fotomotive stumm bleiben:
"Oft sitzen wir am Lagerfeuer zusammen und diskutieren, was die Fremden so besonders an uns finden", erklärt Zahavara Tjambiru, eine Himba-Frau im Kulturdorf von Puros: "Klar, wir wissen, dass unsere Tracht einzigartig ist, aber dass Scharen von Touristen die beschwerliche Anreise an diesen entlegenen Ort in Kauf nehmen, um uns zu sehen, finden wir seltsam. Aber eigentlich macht es uns stolz. So rückständig und nutzlos, wie wir früher betrachtet wurden, sind wir offenbar doch nicht. Jetzt beneiden uns viele andere Leute in Namibia. Mit den Geldern für die Fotos, die Eintritte ins Kulturdorf und die Einnahmen aus unserem Kunsthandwerk schicken wir unsere Söhne und Töchter in die Schule und manche sogar auf die Universität. Uns soll's recht sein und Spaß macht es meistens obendrein. Wer bekommt schon dafür bezahlt, einfach nur da zu sitzen und das zu machen, was man gerade zu tun hat. Wir sind jedenfalls glücklich und zufrieden."
Integrierte Umwelt- und Entwicklungspolitik
Viel zu häufig profitieren andere - zumeist große Reiseveranstalter und Tourismusunternehmen - von der Konstruktion exotischer Lebenswelten. Namibia beschreitet seit der Unabhängigkeit von Südafrika im Jahr 1990 einen neuen Weg. Gemäß der Verfassung (Artikel 95) sollen Naturschutz und nachhaltige ökonomische Entwicklung eng verbunden sein. Die Errichtung kommunaler Schutzgebiete - der "Communal Wildlife Conservancies" - gilt als Königsweg dieser integrierten Umwelt- und Entwicklungspolitik. Seit der Erklärung des ersten derartigen Schutzgebietes - der "Nyae Nyae Conservancy" im Osten des Landes an der Grenze zu Botswana im Jahr 1998 wurden 82 derartige Conservancies durch das Ministerium für Umwelt und Tourismus registriert, die eine Gesamtfläche von bald 20 Prozent des Landes umfassen. Tendenz steigend.
Gelungene Nutzung eigener Ressourcen
Im Vergleich mit anderen Staaten der Region realisiert das Konzept der Conservancies die Einbeziehung ländlicher Gemeinschaften in die Nutzung "ihrer" Ressourcen, wie es das viel beschworene Schlagwort des "Community-based Natural Resource Management" (CBNRM) eigentlich vor Augen hat, aber andernorts nur selten adäquat einlöst. Zu oft werden die entwicklungspolitischen Vorgaben von oben diktiert und entsprechen nicht den lokalen Bedürfnissen und Wünschen. In diesem organisatorischen Zusammenhang erhält das Kulturmarketing einen völlig anderen Beigeschmack als gewohnt. Vielerorts erinnern die Folklore-Dörfer an exotisierende Inszenierungen von "Andersheit" und im schlimmsten Fall an Völkerschauen.
Auf Namibia trifft das schon deshalb nicht zu, weil sich Besucher und Besuchte auf gleichberechtigte Weise treffen und die Rahmenbedingungen von Letzteren definiert werden. In Relation zu den äußerst beschränkten Verdienstmöglichkeiten, vor allem in den niederschlagsarmen, entlegenen Regionen, in denen die meisten San und Himba leben, sehen diese ihre touristische Selbstvermarktung als rare Zukunftsperspektive. Viele verstehen die Kulturvermittlung aber nicht nur als materielle Einnahmequelle und damit als das entscheidende Mittel gegen die Landflucht vor allem bei Jugendlichen, sondern auch als eine Quelle der Inspiration für die Erhaltung alter Traditionen wie jene des Jagens und Sammelns, der überlieferten Heilkunst und des Trance Tanzes. So zumindest sieht es Komtsa Daqm, einer von mehreren Tour Guides im Little Hunter's Museum der Ju|'hoansi San in der Nyae Nyae Conservancy:
"Das Museum der lebenden Jäger ist ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem wir unsere eigenen Angestellten sind. Wir sind also so etwas wie selbständige Unternehmer. Es hilft uns aber auch, die traditionelle Kultur am Leben zu erhalten und an unsere Kinder weiterzugeben. Damit die einmal alles übernehmen können, wenn die Alten zu alt sind oder sterben."