Film
Ab 18! - Ich will Gerechtigkeit!
Ekhlas ist Jesidin und war mit 14 Gefangene des IS. Über Monate hinweg erlebte sie Unvorstellbares. Dann gelang ihr die Flucht. Heute ist die 19-Jährige eine Überlebende und eine Kämpferin.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2019
- Datum:
- Verfügbar in
- D / CH / A
- Verfügbar bis:
- bis 04.08.2025
Ekhlas' ältere Schwester Makboule entkam erst später der IS-Gefangenschaft. Ekhlas reist von Deutschland in den Irak, um Makboule zum ersten Mal wieder zu treffen.
Ekhlas ist die Jüngste in der großen Familie mit vier Brüdern und drei Schwestern. Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Minderheit aus dem Nordirak. Am 3. August 2014 verübte der Islamische Staat einen Genozid an den Jesiden. Sie betrachten die Jesiden als Teufelsanbeter und Ungläubige. IS-Kämpfer töteten Ekhlas' Vater vor ihren Augen. Die damals 14-Jährige, ihre Mutter und ihre Schwester Makboule kamen in IS-Gefangenschaft und wurden als Sexsklavinnen gehalten und verkauft. Drei Mal versuchte Ekhlas, sich das Leben zu nehmen. Als ihr nach sechs Monaten als einer der ersten Frauen die Flucht gelang, schwor sie sich, für Gerechtigkeit und für die Freiheit der Frauen in IS-Gefangenschaft zu kämpfen.
Durch das baden-württembergische Sonderkontingent für besonders schutzbedürftige Frauen kam sie 2015 nach Deutschland. Ekhlas ist eine der Ersten, die 2016 vor dem britischen Parlament und später in der UN von den Menschenrechtsverletzungen des IS öffentlich berichteten. Sie leistete damit einen wichtigen Beitrag zur internationalen Anerkennung des Genozids an den Jesiden. In Deutschland nahm Ekhlas therapeutische Hilfe in Anspruch. Sie geht zur Schule und macht einen Abschluss. Außerdem engagiert sie sich in einer Online-Selbsthilfegruppe für andere betroffene Frauen im Irak. Weil Ekhlas' Vater und alle Brüder tot sind, hat sie die Verantwortung für die Familienangehörigen übernommen, die mit ihr nach Deutschland einreisen durften.
Als im Februar 2019 der älteren Schwester Makboule nach fünfjähriger Gefangenschaft die Flucht gelingt, reist Ekhlas zu ihr in den Irak. Sie will der schwer traumatisierten Schwester Mut machen durch ihren Kampf für Gerechtigkeit.
Ekhlas will Makboule dazu bewegen, ebenfalls eine Therapie zu machen, und ihr helfen, wieder Selbstvertrauen zu gewinnen. Dabei ist ihnen ihre Religion eine wichtige Stütze. In ihrer Heimat, in Lalisch, dem heiligsten Ort der Jesiden, öffnet sich ihre Schwester schließlich mit ihrem Schmerz.
Der Dokumentarfilm "Ich will Gerechtigkeit!" erzählt einfühlsam von einer beeindruckenden jungen Frau, die mit erstaunlicher Klarheit und ihrer einnehmenden Lebensfreude der Brutalität des Terrors trotzt. Nah an seinen Protagonisten begleitet der Film Ekhlas auf ihrer Reise.
"Ich will Gerechtigkeit!" entstand im Rahmen der Reihe "Ab 18!", in der Filmemacherinnen und Filmemacher mit außergewöhnlichen filmischen Handschriften Geschichten vom Erwachsenwerden erzählen.
Stab
- Regie - Nuray Sahin
- Ko-Regie und Produzentin - Ira Tondowski
Interview von 2019 mit Nuray Sahin und Ira Tondowski anlässlich der Erstausstrahlung ihres Films
Nuray, wie kam es, dass du dich mit den Thema des Genozids an den Jesiden beschäftigt hast?
Nuray Sahin: Ich habe mich immer schon zu den Jesiden hingezogen gefühlt, aus dem sehr einfachen Grund, dass Aleviten - ich selber bin Deutsch-Alevitin - und die Jesiden aus denselben kurdischen Gebieten stammen, wir uns auch sprachlich verstehen und wohl auch dieselben Wurzeln haben. Somit fühle ich eine Loyalität, eine Verbindung zu der tragischen Geschichte der Jesiden, vermischt mit großem Mitgefühl, was mich dazu trieb, etwas tun zu wollen. Ich wollte ihnen eine Stimme geben. Ihre ganz eigene Kultur und Religion zeigen. Ich reiste auf eigene Initiative im Mai 2014 in den kurdischen autonomen Teil des Iraks und dann noch einmal 2016 nach der Attacke der IS-Terroristen auf die jesidischen Dörfer, wo ich mit einem deutschen Team unter großer Gefahr Interviews mit vielen Frauen gedreht habe, die fliehen konnten. Aber erst mit "Ich will Gerechtigkeit!" konnte ich endlich einen Film über die Situation der Jesidinnen drehen und ihre Geschichte öffentlich machen, so wie sie sie mir selber erzählten. Dabei ist der Titel des Films keine Phrase, denn auch ich will Gerechtigkeit für die Jesiden.
Welche Schwierigkeiten gab es im Kontakt zur jesidischen Gemeinschaft in Deutschland?
Nuray Sahin: Ich bin mittlerweile mit vielen der hier in Deutschland und der im Irak lebenden Jesiden befreundet oder doch zumindest bekannt. Somit habe ich Zugang und auch ihr Vertrauen gewonnen. Es ist aber immer noch für viele von ihnen sehr schwierig, an die Öffentlichkeit zu treten. Sie haben mit dem Trauma, dem simplen Überleben zu tun. Und innerhalb ihrer Gemeinschaft müssen sie darauf achten, nicht ihrem Glauben und ihren Traditionen zuwiderzuhandeln. Da ist viel Scham, und es gibt viele Tabus. Mir sagten zwei meiner wichtigsten Protagonistinnen aus diesem Grund ab. Denn obwohl sie nicht in der Gefangenschaft der islamischen Terroristen waren, hätte man vermuten können, dass sie Sexsklavinnen gewesen sind, was vor dem Hintergrund der jesidischen Traditionen sehr schlimm für sie gewesen wäre.
Es gibt noch einen anderen Grund, sich nicht zu exponieren. Die Jesiden fühlen sich angesichts der vielen Muslime, die ebenfalls als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, in der Minderheit und unsicher. Muslime sind überall präsent, in den Schulklassen, in Deutschkursen, an Ausbildungsplätzen, auf den Straßen und in den Flüchtlingsunterkünften und Heimen. Und die Jesiden können nicht vergessen, dass es Menschen dieser Religion waren, die sie verfolgten, verachteten, ihnen unsagbares Leid zugefügt haben und auch vor Mord nicht zurückschreckten.
Ekhlas, eine der Protagonistinnen in unserem Film, hingegen nutzt jede sich bietende Gelegenheit, zu erzählen, was ihr passiert ist. Sie ist eine der ersten gewesen, die vor Parlamenten darüber berichtet hat, was Jesiden durch den islamistischen Terror erlitten haben. Dabei betont sie immer wieder, dass die Terroristen es nicht geschafft haben, den Lebenswillen der jesidischen Frauen zu zerstören, dass sie für Gerechtigkeit kämpfen werden. Diese Worte waren es, die mich überzeugt haben, dass Ehklas die Richtige ist.
Wie kam dann der Kontakt zu Ekhlas und ihrer Familie zustande?
Nuray Sahin: Ich wollte unbedingt zwei Schwestern porträtieren, von denen die eine in Deutschland und die andere im Irak lebt, und so den Unterschied ihrer Lebensbedingungen zeigen. Nach einigen Rückschlägen bei der Protagonistensuche, wie dem eben erwähnten, wurde mir durch einen jungen Jesiden, auch er ein Flüchtling, der bei mir ein Praktikum machen wollte, Kontakt zu einigen Frauen hergestellt, die zu meinem Konzept passten. Unter ihnen haben Ira Tondowski und ich uns dann für Ekhlas und Makboule entschieden.
Wie liefen die Dreharbeiten ab, in Deutschland und im Irak?
Ira Tondowski: Die Dreharbeiten waren sehr herausfordernd. In Deutschland haben wir aus Gründen des Personenschutzes für Ekhlas keine Drehgenehmigungen dort bekommen, wo sie eigentlich lebt. Wir wurden zwar unterstützt von den Institutionen, die ihr helfen, aber drehen durften wir dort nicht. Das dient der Sicherheit der Frauen aus dem Hilfsprogramm für die Jesidinnen. Das bedeutet: Wir haben Ekhlas' Leben an einen anderen Ort verpflanzt, und alle Szenen, die in Deutschland gedreht wurden, sind quasi Szenen, die an ihr wirkliches Leben angelehnt sind.
Nuray Sahin: Für den Irak-Dreh musste ich als Regisseurin ein spezielles Sicherheitstraining bei der Bundeswehr absolvieren. Im Irak selbst waren die Bedingungen hart, was mit der Hitze und der Situation in den Zelten in dem Flüchtlingscamp für die Jesiden zu tun hatte. Andererseits hat der Film erst durch den Dreh dort die Stärke bekommen, die er hat.
Als ich mit Ekhlas zusammen nach Erbil flog und dort auf ihre Schwester Makboule traf, hat der Film für mich erst richtig angefangen. Ich hatte auch ein anderes Team dort, mit der in der Region sehr erfahrenen Kamerafrau Anastasia Trofimova und unserem Fixer und Übersetzer Paruar Bako, einem guten Freund, der für uns vor Ort alles organisiert hat. Ekhlas war in ihrem Heimatland und bei ihren Schwestern wie verändert. Sie war viel entspannter. Sie hat manchmal vergessen, dass wir filmten und überhaupt da waren. In Lalesh, im Tempel der Jesiden, konnte sich auch endlich ihre Schwester Makboule entspannen. Die beiden Schwestern haben sich an der heiligen Quelle gereinigt und konnten dann ihre Wünsche und Ängste teilen. Erst dann!
Wie ist die Situation der Jesiden derzeit, im Irak in den Flüchtlingslagern und in Deutschland, in der Diaspora?
Nuray Sahin: Die Situation der Jesiden im Irak in den Flüchtlingslagern wird immer elender und frustrierender. Als ich im Jahr 2016 dort war und sie im Camp besuchte, sind viele Jesiden zu mir gekommen, um zu erzählen, wie schlimm ihre Situationen ist. In diesem Jahr, also drei Jahre später, hat keiner mehr darüber gesprochen. Es war so, als ob sie ihre Hoffnung verloren hatten. Es ist einfach unfassbar, dass die 300.000 Menschen in den Flüchtlingslagern um Duhok in Kurdistan im Nordirak mit großen Kriegstraumata seit 2014 immer noch in Camps leben müssen. Fast jeder möchte weg. Nach Europa, Australien oder nach Kanada. Hier in Deutschland lebt die größte Diasporagemeinschaft der Jesiden.
Aber man muss klar sagen, dass für sie Integration nicht einfach ist. Auch bei den Jesiden, wie bei den Muslimen, sind Frauen zweitrangig und müssen sich den Männern unterordnen. Auch sie leben meist in einer Parallelgesellschaft, und es fällt ihnen schwer, die Werte unserer Gesellschaft anzunehmen.
Ira Tondowski: Die Situation der im Nordirak lebenden Jesiden ist verheerend. Es gibt nichts zu tun, keine Arbeit, kaum Beschäftigung für die Kinder, kaum finanzielle Unterstützung von der irakischen Regierung. Das ist eine Situation wie in einer dauerhaften Warteschleife, und das ist seit Jahren so, und es ist völlig ungewiss, wie lange das noch so bleiben wird. Das ist eine extrem zermürbende Situation für jeden Menschen. Obwohl der Krieg gegen den IS offiziell seit Ende 2017 als beendet gilt, gibt es für die Jesiden in ihrer Heimat, also in und um Shengal sowie dem Shengal-Gebirge, keine Sicherheit, um zurückzukehren und mit dem Wiederaufbau zu beginnen. Das ist, was viele Jesiden sich wünschen. Dem entgegen stehen politische Interessen der irakischen Regierung, aber auch der Kurden. Zumindest hat das Thema weder für die einen noch für die anderen wirklich Priorität.
Auch die internationale Gemeinschaft tut bislang wenig bis gar nichts, obwohl sie den Genozid an den Jesiden anerkannt hat. Es wird viel zu wenig Druck auf die irakische Regierung ausgeübt. In Deutschland lebt die größte Diasporagemeinschaft der Jesiden. Ich finde, dass Deutschland schon allein deshalb und aufgrund seines bisherigen Engagements für die Jesiden eine Schutzfunktion ausüben sollte. Ich kann aber nicht erkennen, dass Deutschland dieser Verantwortung im außenpolitischen Sinne gerecht wird.
Interview: Udo Bremer (2019)