Film
Ab 18! - Karls Freiheit
Nach zweijähriger Asienreise zwingt Corona Karl, 21, zu seiner Familie zurückzukehren. Sofort lastet die Erwartung auf ihm, etwas aus seinem Leben zu machen. Doch Karl entzieht sich.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2021
- Datum:
- Verfügbar in
- D / CH / A
- Verfügbar bis:
- bis 11.08.2025
Eine konkrete Perspektive hat er nicht. Angefüllt mit Welterfahrung, fühlt er sich im deutschen Alltag fremd. Zwischen Verweigerung, Depression, Sinnsuche und vorsichtigen Schritten versucht Karl, bei sich zu bleiben, bis der Druck der Eltern wächst.
"Karls Freiheit" begleitet den 21-jährigen Karl Louis aus Berlin während eines durch Corona geprägten Jahres auf der Suche nach (s)einer Bestimmung. Nachdem er nach zweijähriger Asienreise, auf der er sich trampend von Deutschland bis an die chinesische Grenze bewegt hat, Corona-bedingt von Honkong nach Hause zurückkehren musste, landet Karl Louis hart in der neuen deutschen Realität des Lockdowns. Sowohl im Elternhaus als auch im Freundeskreis hat sich wenig verändert, und alle außer Karl Louis selbst scheinen sich selbstverständlich durch ihren strukturierten Alltag zu bewegen.
Schon bald wird auch in ihm wieder die Grundfrage laut, die ihn schon vor seiner Weltreise lähmte: Was soll er aus seinem Leben machen? Ursprünglich dachte er, seine Reise würde ihm darauf eine Antwort geben. Aber trotz vieler gesammelter Erfahrungen und unzähliger Abenteuer steht er nun wieder genauso ratlos da wie einst schon nach dem Abitur.
Um sich davon abzulenken, verfällt Louis schnell wieder in alte Muster: den Tag verschlafen, die Nächte mit Computerspielen verdaddeln. Die Eltern, die das Verhalten ihres Sohnes schon von früher kennen, sind alsbald alarmiert und schwanken zwischen Unterstützung und Ermahnung. Genauso wie seine besten Freunde raten sie ihm, lieber mal zu "machen", statt nur nachzudenken oder, noch schlimmer, dem Denken zu entfliehen. Aber obwohl bei Karl Louis auch der innere Druck merklich steigt, ist er nicht in der Lage, an seinem Zustand etwas zu ändern.
Mit beginnendem Frühling startet er zaghafte Versuche, sich aus seiner Starre zu lösen. Allerdings ohne greifbares Ergebnis. Bis seiner Mutter der Geduldsfaden reißt und sie die Option eines Rausschmisses aus dem elterlichen Haus thematisiert. Danach macht Karl tatsächlich einen Schritt nach draußen und sucht die Begegnung mit der für ihn mit Angst besetzten Arbeitswelt. Und er trifft eine Entscheidung, die ihn schlagartig befreit. Dennoch bleibt sein ungelöstes Problem damit nur aufgeschoben. Seine Reise ist noch nicht zu Ende.
Judith Keil und Antje Kruska über ihren Film:
"Wir kennen Karl Louis als Jungen aus der Nachbarschaft, der nach einem Abi mit 'Ach und Krach' und einer ausgeprägten Neigung zum Sich-Verschanzen und Computerspielen eines Tages überraschend auf 'Weltfahrt' ging und von dessen unglaublichen Erlebnissen die Eltern in einer Mischung aus Stolz und Sorge berichten konnten. Der Entschluss, ein filmisches Porträt über ihn zu machen, kam bei uns bereits vor der Coronapandemie auf. Er erschien uns aus der Ferne als mutiger und weltgewandter junger Mann, der sich mit Stärke, Charisma und Klugheit als guter Dokumentarfilmprotagonist erweisen würde. Als Corona seiner Reise ein plötzliches Ende bereitete, dachten wir zunächst, der Film über ihn habe sich erledigt, weil wir ihn auf seiner Reise nicht mehr begleiten konnten.
Dass es aber stattdessen bei ihm erstmal eine ganze Weile um ein Fehlen jedweder Bestimmung gehen sollte und um eine unruhige und dennoch stauhafte Suche, die ihn an den Rand der Depression führen sollte, war nicht abzusehen. Nachdem wir den klugen, sensiblen, grüblerischen Kopf dann getroffen hatten und er uns bald an seinen Erlebnissen und Gedanken teilhaben ließ, hatten wir das gute Gefühl, auf diese Weise den vielleicht sogar wichtigeren Film drehen zu können.
Während der Arbeit an unserem Filmprojekt wurde in zahlreichen Gesprächen über das Thema unseres Protagonisten deutlich, dass Karl Louis kein Einzelfall ist, sondern dass er unter durchaus für einen Teil seiner Generation typischen Problemen leidet. In einer deutschen Mittelschicht, in der tolerante, fürsorgliche Eltern und materielle Sicherheit die Basis schaffen für eine Qual der Wahl aus tausend Möglichkeiten, scheint es vielen jungen Menschen, insbesondere wohl jungen Männern, schwer zu fallen, Zukunftsentscheidungen zu fällen beziehungsweise einfach mal Tätigkeiten auszuprobieren, auch auf die Gefahr des Scheiterns hin. Dieses 'einfach mal machen', was auch im Film immer alle von Karl Louis fordern, überfordert offensichtlich viele Heranwachsende. Unser Film 'Karls Freiheit' kann hoffentlich dazu beitragen, diesen verbreiteten Blockaden mit Empathie und Erkenntnissen zu begegnen."
Judith Keil und Antje Kruska haben als Autorinnen seit ihrem Regiedebüt "Ausfahrt Ost" (1999), der für den Grimme-Preis nominiert wurde, zahlreiche Kinodokumentarfilme realisiert und wurden mit Preisen ausgezeichnet. "Karls Freiheit" ist ihre erste Produktion für die Reihe "Ab 18!".
3sat zeigt den Dokumentarfilm "Karls Freiheit" von Judith Keil und Antje Kruska im Rahmen der Reihe "Ab 18!", in der Regisseur*innen mit außergewöhnlichen filmischen Handschriften Geschichten vom Erwachsenwerden erzählen.
Interview von 2021 mit Judith Keil und Antje Kruska anlässlich der Erstausstrahlung
Zunächst wolltet ihr einen Film über einen jungen Mann auf Reisen machen. Dann kam Corona und Karl Louis musste ins Elternhaus zurückkehren. Was hat euch am Zustand seiner Stagnation als Filmthema interessiert?
Auch als wir noch vorhatten, ihn während seiner Reise zu begleiten, war uns die Rückkehr nach Hause als Erzählbewegung schon sehr wichtig. Wie würde er die existentiellen Erfahrungen, die er in diesem Reise-Ausnahmezustand gesammelt hat und die Eigenständigkeit und Weltgewandtheit, die er gefunden hat, in seiner deutschen Wirklichkeit umsetzen? Es gab ja bei allen - bei ihm sowie bei seinen Eltern - die Hoffnung, die Reise würde einen Knoten lösen, der in dem Jahr davor schon Sorgen bereitet hatte, dass Karl Louis nicht wusste, welche Schritte er nach dem Abi gehen sollte und einen Hang hatte, mit Computerspielen die Tage zu verdaddeln. Und gleichzeitig gab es die Angst, es könne alles wieder sein wie davor.
Corona hat diese Rückkehr dann umso schockartiger vollzogen. Dass wir dadurch nicht mehr den Teil seiner Reise drehen konnten, haben wir zwar bedauert, aber die Fragen, wie er die Reiseerfahrungen hier würde umsetzen können und wie sein Weg weitergehen würde, blieben die gleichen. Wir waren froh, dass wir durch seine Reisevideos diese andere Wirklichkeit und seine andere Energie mit in den Film nehmen konnten. So blieb diese Kluft zwischen dem abenteuerlichen Trampen auf den Straßen der Welt und dem Festsitzen im Kinderzimmer vor dem Computer Bestandteil des Films.
Dass sein Feststecken ungelöst blieb, während der Druck von Seiten der Eltern weiter stieg, war die Ausgangslage unserer Erzählung. Diese "Gemengelage" hat uns berührt, weil wir selber viel Potential in Karl Louis sehen konnten. Dass die Stagnation während der ganzen Drehzeit anhalten sollte, war uns nicht klar. Doch es erscheint uns als ein verbreitetes Phänomen, vornehmlich bei jungen Männern, dass sich die Schritte in die Selbstständigkeit schwierig gestalten, bei all den Wegen, die einem offen stehen, den gleichzeitigen Zerstreuungsmöglichkeiten mit Suchtpotential und einem wohlständigen Elternhaus, das einem Geborgenheit und Verständnis vermittelt, und dadurch den "Sprung aus dem Nest" nicht forciert.
Der Film erzählt von fast einem Jahr aus Karls Leben. Wie habt ihr die Dreharbeiten über einen so langen Zeitraum geplant?
Da Karl Louis in unserer Nachbarschaft wohnt, war es zum Glück auch zu Corona-Lockdown-Zeiten einfach, ihn regelmäßig zu treffen zu längeren Spaziergängen auf dem Tempelhofer Feld. Dabei konnten wir uns tiefer kennenlernen, Vertrauen fassen und von ihm erfahren, was gerade in ihm vorgeht und in seinem Leben passiert oder auch nicht passiert.
Ausgehend von diesen Spaziergängen und Gesprächen haben wir Drehpläne entwickelt, auch mit ihm gemeinsam. So war es ihm selber auch sehr wichtig, dass seine besten Freunde zum Teil des Films werden. Die Hürde, mit seinen Eltern zu drehen, was uns als elementarer Bestandteil seiner Lebenswirklichkeit extrem wichtig war, war etwas höher. Auch da hat der Prozess des Vertrauenfassens geholfen und auch Gespräche mit seinen Eltern, die zum Glück trotz Kamerascheu bereit waren, für Karl mitzumachen.
Wann habt ihr Kenntnis von Karls selbstgedrehten Reiseaufnahmen bekommen und euch entschieden, sie im Film zu verwenden?
Dass es viele Reisefotos gibt, wussten wir von Anfang an. Denn noch als er auf Reisen war, hat uns seine Mutter mal eingeladen, um uns Bilder zu zeigen, die wir sehr inspirierend fanden - damals noch mit dem festen Plan, zu seiner Reise dazuzustoßen. Als Karl Louis dann wieder hier gelandet war, dachten wir schon, dass die Bilder uns helfen könnten, im Film seine Reise wachzurufen. Als er uns dann die Festplatte mit seinen Reisebildern anvertraute, was für ihn viel bedeutete, weil er es als etwas sehr Persönliches empfunden hat, haben wir entdeckt, dass es auch diese kurzen Filmaufnahmen gibt. Diese Clips hatten gleich eine große Wirkung auf uns, weil sie einen anderen Karl Louis zum Leben erweckten. Schnell haben wir im Schneideraum damit gearbeitet und uns war klar, dass wir da einen Schatz bekommen haben, der den Film bereichern wird.
Wie hat sich Karl Louis als Protagonist euch gegenüber als Filmteam verhalten? Was hat ihm die Mitarbeit an dem Film bedeutet?
Die Zusammenarbeit mit Karl Louis ist sehr ähnlich verlaufen wie mit anderen Protagonisten aus anderen unserer Filme zuvor. Zunächst kann es für Dokumentarfilmprotagonisten sehr schön sein, wenn man Interesse und Begeisterung bei fremden Menschen hervorruft. Der Fokus eines gesamten Filmteams aufs eigene Leben und die eigene Wahrnehmung kann auch als Bestätigung und Wertschätzung empfunden werden. Wenn dieses Interesse aber längere Zeit andauert und beharrlich auch an nicht nur angenehmen Themen dranbleibt, kann es auch Phasen geben, in denen man den filmischen Prozess als anstrengend empfindet. Karl Louis ist dem Filmvorhaben aber ein ganzes Jahr lang treu geblieben und hat auch in schwächeren Momenten immer viel von sich für den Film gegeben. Besonders wichtig waren in diesem Fall auch unsere Filmteams, die jeweils sehr unterstützend, anteilnehmend und solidarisch mit Karl Louis und seiner Perspektive auf die Dinge waren.
Und wie hat seine Familie auf den Film reagiert, der ja von einem schwelenden Familienkonflikt erzählt?
Karl Louis' Mutter Heidi war es zwar, die unser dokumentarisches Interesse an ihrem Sohn von Anfang an verstanden und unterstützt hat, die aber zu Drehbeginn den Wunsch geäußert hat, selber lieber wenig bis gar nicht im Film auftauchen zu wollen. Nachdem wir Karl Louis' Lebensumstände und die Themen, an denen er sich abarbeitet, besser verstanden hatten, war aber schnell klar, dass es ohne elterliche Bereicherung des Films nur schwer gehen würde, ein filmisches Porträt umzusetzen. Das haben Heidi und Sebastian auch verstanden und Heidi ist dem Film und auch ihrem Sohn zuliebe mit in den Prozess eingestiegen. Davor können wir als selber Mütter nur den Hut ziehen und Danke sagen, denn ohne die elterliche Ebene hätten wir den Grundkonflikt von Karl Louis nicht so treffend erzählen können.
Unsere Hoffnung wäre natürlich, dass die filmische Zusammenarbeit und auch das Ergebnis am Ende beitragen können, die eigene familiäre Situation ein bisschen klarer zu sehen und vielleicht auch über die ein oder andere Verstrickung gemeinsam lachen zu können. Bei Karl Louis und seinen besten Freunden, die auch im Film auftauchen, ist das schonmal gelungen: Sie mochten den Film. Karl Louis fand ihn sogar "voll gut". Mit Heidi und Sebastian werden wir uns den Film voraussichtlich im Fernsehen anschauen.
Interview: Udo Bremer (2021)