Film

Ab 18! - Die Selbstverständlichkeit des Seins

Als bei Leonards Geburt Glasknochen festgestellt wurden, gab man ihm eine Lebenserwartung von einem Jahr. Heute ist er Mitte 20, Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2023
Datum:
Verfügbar in
D / CH / A
Verfügbar bis:
bis 10.03.2025
In einem abgedunkelten, hallenartigen Raum sitzt ein junger, kleinwüchsiger Mann in seinem Rollstuhl vor einer Wand, auf die groß ein Kindheitsfoto von ihm projiziert wird. Von der Wand blättert Putz ab.
Leonard vor der Projektion eines Kinderfotos von ihm.

Leonard ist kleinwüchsig, läuft im Rollstuhl, und sein Körper ist anders. Aber er lebt selbstständig und hat eine starke Ausstrahlung und Ziele, die manchmal über seine körperlichen Möglichkeiten hinauszugehen scheinen und die trotzdem erreichbar sind.

Regisseurin Ira Tondowski zeigt Leonards Energie, Ausstrahlung und Kommunikationstalent in alltäglichen, beruflichen und privaten Situationen und stellt diesen Beobachtungen stilisierte, nachdenkliche Szenen gegenüber, in denen sich Leonard zu Aufnahmen aus seinem Familienarchiv an Momente seiner Kindheit erinnert und über sein Körpergefühl spricht.

Director's Statement von Ira Tondowski:
"In unserer Zusammenarbeit an diesem Film habe ich nicht nur Leonards spezifische Perspektive auf unsere Welt erleben dürfen, sondern auch die Vielfalt, der wir uns als normative Gesellschaft verschließen, wenn wir Menschen mit Behinderung nicht teilhaben lassen. Als eine Regisseurin Leonard als Hauptdarsteller in ihrem Kurzfilm besetzen will, heißt es von der Filmausfallversicherung der Produktion: 'Eine Person mit Glasknochen versichern wir nicht.' Auch die sich selbst als so progressiv empfindende Filmbranche ist zutiefst ableistisch. Ein Ableismus, der viel mit Unwissen zu tun hat, mit Schubladendenken. In Film und Medien sind Menschen mit Behinderung nach wie vor massiv unterrepräsentiert. Leonard lebt ein Leben gegen diese Unsichtbarkeit. Dieser Film will den Reichtum, die Schönheit und Sinnlichkeit, die Weisheit, gesellschaftliche Relevanz, kurz, die Selbstverständlichkeit dieses Lebens mit möglichst vielen Menschen teilen."

Ira Tondowski arbeitet seit 20 Jahren als Autorin und Regisseurin, als Produzentin teils preisgekrönter Filme sowie als Dozentin an der Internationalen Filmschule Köln (ifs). Zuletzt realisierte sie für die Reihe "Ab 18!" den Dokumentarfilm "Ich will Gerechtigkeit!" (zusammen mit Nuray Şahin, 2019). Ins Jahr 2024 startete sie mit den Vorbereitungen ihres Spielfilmdebüts.

3sat zeigt "Die Selbstverständlichkeit des Seins" von Ira Tondowski im Rahmen der Reihe "Ab 18!", in der Regisseurinnen und Regisseure mit außergewöhnlichen filmischen Handschriften Geschichten vom Erwachsenwerden erzählen.

Interview mit Filmemacherin Ira Tondowski

Wie bist du auf Leonard aufmerksam geworden?

Len studierte an der ifs, der Internationalen Filmschule Köln, wo ich regelmäßig als Dozentin tätig bin. Ich habe ihn bei seiner Bachelor-Abschlussarbeit, also bei seinem Abschlussdrehbuch "Veritas", das auch kurz im Film angesprochen wird, betreut. Sein Drehbuch hat einen autobiografischen Ansatz, insofern als der Protagonist dieser Coming-of-Age-Geschichte ein Junge ist, der wie Len die Glasknochenkrankheit hat.

Kam dir die Idee für einen Film über einen beziehungsweise mit einem Menschen, der mit einer Behinderung lebt, schon vor der Begegnung mit Leonard, oder hat er dich dazu inspiriert?

Ira Tondowski
Ira Tondowski
Quelle: Sandra Buschow

Nein, mir kam nie per se die Idee, einen Film über Menschen mit Behinderung zu machen. Die Inspiration kam von Len selbst und durch unsere Zusammenarbeit an seinem Drehbuch. Lens Lebendigkeit, seine Lebenszugewandtheit, seine Selbstverständlichkeit mit den Dingen, sein positives Wesen, seine Weisheit trotz seines jungen Alters - das sind alles Dinge, die mich schlicht und einfach fasziniert haben. Ich fand es reizend, eine positive, lebensbejahende Filmerzählung zu machen. Dazu kommt, dass ich persönlich in meinem Leben, so wie es Len im Film auf dem Panel selbst sagt, wenig Berührung mit Menschen mit Behinderung und deren Lebenswelten gehabt habe. Durch die Zusammenarbeit mit Len und unseren sehr besonderen, offenen, ehrlichen und freundschaftlichen Austausch habe ich sehr viel, zumindest was seine Perspektive betrifft, erfahren und verstehen dürfen, und das hat mich sicher auch ein Stück weit für die spezifischen Belange von Menschen mit Behinderung sensibilisiert. Obwohl ich dazu sagen möchte, dass hinter diesem Begriff "Menschen mit Behinderung" sich eine unglaublich vielschichtige, differenzierte und aufregend bunte Welt verbirgt. Das war mir selbst gar nicht so bewusst.

Wie lief die Zusammenarbeit mit ihm bei den Dreharbeiten ab? Immerhin arbeitet er selbst als Regisseur.

Len hat mir von Anfang an vertraut. Er sagte einmal, er freut sich auf meinen Blick auf ihn. Die Zusammenarbeit war völlig unproblematisch. Wenn das Vertrauen da ist, ist es wirklich angenehm mit jemandem zu arbeiten, der selbst vom Fach ist. Bestimmte Anweisungen sind ihm nicht fremd. Er hatte auch eine Vorstellung davon, was es bedeutet, wenn eine Kamera permanent mit ihm unterwegs ist.

Wie hat er auf die Idee der poetischen Szenen reagiert, in denen er eine andere Seite von sich zeigt?

Len hat diese großartige Fähigkeit zu vertrauen. Er fand die poetische Ebene zunächst total spannend. Diese Szenen sind an einem einzigen Drehtag ganz am Ende der Drehperiode entstanden. Was ich da vorhatte, hat - glaube ich - niemand so richtig verstanden, inklusive mir selbst. Die Idee dazu war aber von Anfang an da. Ich blieb dabei und folgte meinem Impuls und erlaubte mir und uns diesen Raum zum Spielen. Es gab einen Moment, in dem Len verunsichert war, nämlich als ich ihn bat zu laufen. Len hat sich für sein Leben aus verschiedenen Gründen gegen das Laufen entschieden. Ich empfinde seine Entscheidung als heroisch. Sie ist für mich Zeugnis von einem Höchstmaß an Selbstakzeptanz. Beeindruckend. Ich verstand also, dass ihn meine Bitte, für die Dreharbeiten kurz zu laufen, irritierte. In so einem Moment ist es meine Aufgabe als Regisseurin, die Protagonist*innen und auch die Menschen, mit denen ich arbeite, halten zu können. Das scheint mir gelungen zu sein.

Dieser Tag war ein so wunderbarer Drehtag für alle Beteiligten! Das habe ich so noch nie erlebt. Trotz zwölf Stunden und emotionaler Momente waren alle mit so viel Freude und Zuversicht dabei, so dass wir gemeinsam in einen spielerischen, kreativen Fluss gekommen sind und dabei extrem effektiv waren. Wir haben alles, was ich mir vorgenommen hatte plus der ein oder anderen spontan entstandenen Idee umsetzen können. Wenn sich diese kreativen Räume auftun, hat das etwas Magisches und zutiefst Beglückendes. An diesem Tag sind im Übrigen nicht nur die Szenen, sondern auch das gesamt Voice Over entstanden. Das nahm ich während einer kleinen Umbaupause mit dem Hintergedanken, Layouttext für den Schnitt zu haben, auf.

In deinem Director's Statement schreibst du, dass du durch die Zusammenarbeit mit Leonard seine spezifische Perspektive erleben konntest. Welche Momente waren dir dabei besonders aufschlussreich?

Die Frage möchte ich gar nicht beantworten, denn aus vielen dieser aufschlussreichen Momente ist letztendlich unser Film montiert.

Interview: Udo Bremer

Stab

  • Regie - Ira Tondowski
  • Autor - Ira Tondowski
  • Kamera - Frank Schwaiger, Ira Tondowski, Birgit Möller
  • Musik - Cassis B Staudt

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