Film
Ab 18! - Vaterland
Günther, genannt "Günni", lebt mit seinem Vater in einer Art Bauernhof- und Reiteridylle im ländlichen Thüringen. Dort pflegen beide ihre Version des amerikanischen Traums.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2023
- Datum:
- Verfügbar in
- D / CH / A
- Verfügbar bis:
- bis 10.03.2025
Auf ihrer eigenen Ranch widmen sich die beiden Cowboys vor allem dem "Roping", bei dem Rinder wie in den Westernfilmen noch mit dem Lasso eingefangen werden. Doch ihre wahre Leidenschaft sind die echten US-Turniere.
Mit 21 Jahren hätte sich Günther erstmals mit dem Vater in den USA für eine Team-Challenge anmelden können, so war der Plan. Ein Höhepunkt ihres eingespielten Männerbündnisses. Doch dann kam Corona. Zwischen den großen internationalen Einsätzen fordert aber ohnehin der Alltag seinen Tribut. Günni hat Landwirtschaft gelernt, er mag Tiere, weite Felder und das Landleben. Aufgewachsen bei der Mutter in der Stadt, hat er sich bewusst für die harte Arbeit auf dem Hof des Vaters entschieden. Beide sind Allrounder: Sie geben Unterricht im Lassowerfen, brutzeln selbst gemachte Hamburger, entbeinen Rinderkeulen und verkaufen im Industriegebiet der nächstgelegenen Stadt selbst gemachte thüringische Bratwürste. Denn die Roping-Rodeos wollen finanziert werden, und Las Vegas ist teuer.
In einer Langzeitbeobachtung widmet sich das Leipziger Autorenpaar Antje Schneider und Carsten Waldbauer mit Empathie wie auch mit immer wieder aufscheinender Verwunderung über die Marlboro-Werbung-Welten mitten in Thüringen ihren beiden Protagonisten, die wie aus der Zeit gefallen scheinen. Doch die Frage, ob Günni überhaupt eine Chance gehabt hätte, einen anderen Weg einzuschlagen, beantworten beide einmütig mit einem klaren "Ja". Er hätte ja auch Fußballer werden können, schlägt der Vater vor, oder auch Balletttänzer, wirft Günni ein, und beide lachen.
Antje Schneider produzierte bereits lange Dokumentarfilme für das Kleine Fernsehspiel des ZDF: 2014 "Die schöne Krista" und 2021 "Vier Sterne Plus" mit Carsten Waldbauer als Kameramann und Stefan Kloos als Produzenten über ein Kreiskrankenhaus in Thüringen, das sich zu einem Patientenhotel wandeln sollte. Beide Filme liefen überaus erfolgreich auf Festivals.
3sat zeigt "Vaterland" von Antje Schneider im Rahmen der Reihe "Ab 18!", in der Regisseurinnen und Regisseure mit außergewöhnlichen filmischen Handschriften Geschichten vom Erwachsenwerden erzählen.
Interview mit Antje Schneider und Carsten Waldbauer
Wie sind Sie auf Ihre beiden Protagonisten gestoßen?
Wir lernten Günni und Steffen vor ein paar Jahren in einer Westernstadt im Harz kennen. Wir drehten dort für einen Film, und die beiden gaben einen Roping-Kurs für anstehende Lasso-Helden. Dort fiel uns der besonnene, ruhige und so überaus disziplinierte Günni besonders auf. Während abends alle anderen im Saloon oder der Dancehall redeten, tranken und feierten ging der damals 17-Jährige vorausschauend auf sein Zimmer und bereitete sich auf den kommenden Tag mit seinen Aufgaben vor. Das imponierte uns. Günni ließ sich nicht von der Atmosphäre, dem Gruppenzwang beeindrucken. Er machte sein eigenes Ding. Am kommenden Tag dann redete Steffen voller Stolz über seinen Sohn. So freimütig und ergriffen hatten wir noch niemanden über sein Kind gegenüber Fremden reden hören. Und als dann Steffen in tiefster Überzeugung behauptete, Günni würde in ein paar Jahren Weltmeister im Roping sein, wussten wir, dass wir die beiden nicht aus den Augen lassen wollen.
Wie stehen die Chancen, dass die beiden tatsächlich als Team beim Roping-Rodeo in Las Vegas antreten?
Sie haben den großen Traum nicht aufgegeben. Eine Teilnahme zur Weltmeisterschaft in Las Vegas ist nach wie vor ihr Ziel. Im Idealfall haben sich beide qualifiziert und können gemeinsam starten. Würde diese enge Vater-Sohn-Beziehung auch noch von einem gemeinsamen Erfolg ihrer Leidenschaft Team-Roping gekrönt, hätten beide ihren Olymp erreicht. Aber der Arbeitsalltag auf der Ranch und im Heizungsbetrieb lassen immer weniger Zeit für gemeinsames Trainieren. Die Reise ist teuer, gestiegene Kosten machen das Geld knapp. Ihre Teilnahme bei europäischen Turnieren lässt sie ihrem Vorhaben immer wieder nahekommen, aber eine Teilnahme in Amerika bedeutet so viel mehr.
Die Pferde lassen sich nicht mitnehmen wie zu Rodeos in Frankreich oder Italien. Man muss ein Pferd von einer Ranch in Texas oder Nevada mieten, das Pferd ein paar Wochen trainieren und dann hoffen, dass die Leistung gegenüber den Cowboys mit Heimvorteil ausreicht. Wir glauben, dass die beiden diese kostspielige Unternehmung nur anstreben, wenn dann auch die Chance auf einen Sieg die hohen Kosten rechtfertigt. Ob Günni und Steffen so gut sind? Wir wissen es nicht.
Wie erklären Sie es sich, dass ausgerechnet im ländlichen Thüringen der amerikanische Traum mit solcher Überzeugung gelebt wird?
Die Wurzeln für die Ranch, das Cowboy-Leben und den Traum nach der endlosen Freiheit liegen in Steffens Kindheit. Schon sein Vater war großer Western-Fan, schaute unentwegt Filme aus dem amerikanischen Westen und verherrlichte das Bild vom in Freiheit lebenden Cowboy. Die Enge der DDR, die geschlossenen Grenzen, die unentwegte Überwachung mögen diesen Drang nach Freiheit verstärkt haben. Es ist das Verbotene und das Unerreichbare was uns anlockt. Die verbotene Frucht. So manifestierte sich bei Steffen die Cowboy-Symbolik zum Sinnbild für die Lösung aller Probleme. Nicht von außen wird dein Leben bestimmt. Ein Cowboy sorgt für sich selbst! Mit seinen Tieren, mit dem Wetter, mit der Landschaft.
Die Wende schaffte dann die Möglichkeiten diesen Traum zu leben, und die Thüringer Landschaft kommt den Traumbildern nah. Hügelige Gegend, weidende Rinderherden und nun auch der Bau einer eigenen Ranch. Die Arbeit in einem eigenen Heizungsbetrieb ermöglichte die finanzielle Unabhängigkeit. Land wurde gekauft oder gepachtet, ein baufälliges Anwesen mit viel Kraft und Enthusiasmus zur Ranch umgebaut. Steffen nutzte die Gelegenheit schnell und erfüllte sich die Wünsche, die er schon sein ganzes Leben hatte. Harte, unentwegte Arbeit, aber für sich selbst. Er romantisiert nicht. Ein Leben mit Tieren ist allumfassend. Mit diesem Wissen wurde auch Günni groß.
Jetzt sind die Grenzen verschwunden, die Mauern eingerissen, aber die Erkenntnis wächst, dass es neue Grenzen sind, die sich auftun und den Alltag beeinflussen und begrenzen.
Interview: Nicole Baum
Stab
- Regie - Antje Schneider
- Autor - Antje Schneider