Film
DocuMe - Für Thea
Kurz nach ihrem 24. Geburtstag wird Thea nachts in ein Auto gezerrt und für mehrere Stunden vergewaltigt. Im Tanz und einer Therapie sucht sie nun nach einem Weg der Aufarbeitung.
- Produktionsland und -jahr:
- Italien , Deutschland 2025
- Datum:
- Sendetermin
- 10.02.2025
- 23:05 - 23:35 Uhr
Der bewegende Dokumentarfilm begleitet Theas mutigen Versuch, wieder zu sich selbst zu finden – körperlich wie emotional. Doch inwiefern ist nach der traumatisierenden Erfahrung sexueller Gewalt Heilung überhaupt möglich?
Tanz ist Theas Passion und Beruf und wird zu einem heilsamen Ausdrucksmittel, das ihr hilft, mit den seelischen und körperlichen Narben umzugehen. Ihre Gedanken und Gefühle hält sie in persönlichen Videotagebüchern fest, in denen sie ihre inneren Kämpfe und Fortschritte teilt.
Unterstützt wird sie dabei von ihrem Freund Thiago, dessen stille und liebevolle Präsenz ihr Halt und Trost gibt, sowie von ihrem Hund Mandinga, der sie mit bedingungsloser Zuneigung auf ihrem Weg begleitet. Gemeinsam schaffen sie einen Raum, der es Thea ermöglicht, langsam wieder Vertrauen in sich selbst und ihre Umwelt zu gewinnen.
Gemeinsam erleben sie die Höhen und Tiefen von Theas Heilungsprozess und erreichen einen erfreulichen Wendepunkt: Mit ihrer Schwangerschaft findet Thea eine neue Verbindung zu ihrem Körper, die es ihr ermöglicht, sich ein Stück weit von ihrer Vergangenheit zu lösen und in eine hoffnungsvolle Zukunft zu blicken.
Der Nachwuchsfilmemacher Felix Rier kennt Thea seit seiner Kindheit. Beide sind im gleichen Dorf in Südtirol aufgewachsen, zusammen zur Schule gegangen und haben sich als junge Erwachsene in Berlin wieder getroffen. Ihre langjährige Freundschaft und das gegenseitige Vertrauen ermöglichen es ihnen, einen zutiefst persönlichen Dokumentarfilm zu realisieren, der das kraftvolle Porträt einer Überlebenden zeichnet.
Felix Rier ist freiberuflicher Regisseur, Kamera- und Tonmann für Kinodokumentarfilme. Nach einer Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton in Berlin studierte er von 2019 bis 2022 Kamera und Licht an der ZeLIG - Schule für Dokumentarfilm in Bozen. Im Rahmen des Filmstudiums produzierte er seinen ersten Kurzfilm "ein mann zu sein" (2021).
3sat zeigt "Für Thea" im Rahmen der neuen 3sat-Dokumentarfilmreihe "DocuMe", die von Menschen in Veränderungsprozessen erzählt und mit Erzählformen abseits des medialen Mainstreams experimentiert.
Interview mit Filmemacher Felix Rier
Dein erster Film "ein mann zu sein" aus dem Jahr 2021 hat sich schon einmal mit Theas Vergewaltigung beschäftigt. Allerdings ging es in dem Kurzfilm noch darum, was das mit dir als enger Freund von Thea und auch als Mann macht. War Thea bereits an diesem Film beteiligt?
Der Kurzfilm "ein mann zu sein" entstand während meines Studiums an der ZeLIG - Schule für Dokumentarfilm in Südtirol. Darin versuche ich, ein Gefühl moralischer Verantwortung und die persönliche Scham darüber, ein Mann zu sein, in Worte zu fassen. Thea war bereits an diesem Film beteiligt: Das Auge, das wir im Film sehen, reagiert in Echtzeit auf den imaginären Brief an Undine* - ein Pseudonym aus einem Zeitungsartikel über das Verbrechen an Thea. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich ihr von dem Projekt aus der Filmschule erzählte. Ich war sehr nervös, da ich nicht wusste, was sie über meine intime Auseinandersetzung mit dem männlichen Geschlecht und den persönlichen Schuldgefühlen denken würde. Doch der Text hat sie tief berührt, unser gegenseitiges Vertrauen gestärkt und den Grundstein für unsere weitere Zusammenarbeit gelegt, um schließlich gemeinsam ihre Geschichte zu erzählen.
In "Für Thea" liegt der Fokus nun auf Theas Verarbeitung des Erlebten. Wieso habt ihr euch dazu entschlossen, einen weiteren Film über die Vergewaltigung zu machen?
Nach der positiven Erfahrung des Kurzfilms hat Thea mir erzählt, dass sie über das Erlebte sprechen möchte. Ihr war und ist es ein Anliegen, die Problematik sexualisierter Gewalt in den Mittelpunkt zu rücken. Sie hat mich eingeladen, gemeinsam ihre Geschichte zu erzählen, um so auch anderen Betroffenen eine Stimme zu geben. Theas Mut, sich zu öffnen und ihre Geschichte zu teilen, finde ich zutiefst bewundernswert.
Die Dunkelziffer von Vergewaltigungen in Deutschland ist erschreckend hoch. Viele Betroffene erstatten aus Angst, Scham oder Misstrauen keine Anzeige. Schätzungen zufolge werden nur zehn bis fünfzehn Prozent der Taten überhaupt angezeigt, und weniger als zehn Prozent der Verfahren enden mit einem Schuldspruch. Theas Fall ist daher besonders, da zwei der Serientäter verurteilt wurden - zu zehn und dreizehn Jahren Haft.
Dennoch zeigt sich, wie komplex und herausfordernd es ist, Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfahren sind langwierig und emotional belastend, und selbst in den Fällen, in denen eine Anzeige erstattet wird, endet nur ein kleiner Teil der Prozesse mit einer Verurteilung - etwa siebeneinhalb Prozent. Dies erschwert das Vertrauen in das Rechtssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass in vier von fünf Fällen die Betroffenen den Täter kennen. Viele fürchten sich vor den sozialen und familiären Konsequenzen oder vor den Racheakten des Täters. In vielen Ländern fehlt es zudem an spezialisierten Gerichten und Staatsanwaltschaften, die die Dynamiken von häuslicher und sexualisierter Gewalt besser verstehen und den Opferschutz priorisieren, was die rechtliche Auseinandersetzung zusätzlich erschwert.
Der Film entstand in enger Zusammenarbeit zwischen dir als Regisseur und Thea als Protagonistin. Wie hat diese Zusammenarbeit funktioniert?
Die Zusammenarbeit mit Thea als Protagonistin war geprägt von drei wesentlichen Aspekten: Zeit, Intimität und Mitbestimmung. In den ersten anderthalb Jahren habe ich alleine und ohne Produktionsfirma gedreht - Regie, Kamera, Ton und Organisation lagen dabei vollständig in meiner Hand. Die Drehblöcke waren stets über mehrere Wochen angesetzt, um die Gefahr flüchtiger Momentaufnahmen zu vermeiden. Als sich später Helios Sustainable Films mit den beiden Produzenten Petra Forer und Martin Rattini dem Projekt anschloss, war es uns ein gemeinsames Anliegen, diese Arbeitsweise beizubehalten.
Zusammen mit meiner Kommilitonin und Tonfrau Anna Schweitzer verbrachten wir die letzten zwei Jahre immer mehrere Wochen am Stück mit Thea in Berlin, um zu drehen. Die Drehplanung blieb dabei bewusst flexibel, um ausreichend Zeit und Raum für die Entfaltung von Ereignissen, geduldige Beobachtungen und kleinere Inszenierungen zu bieten. Geplante Vorhaben konnten verschoben oder spontan angepasst werden, wenn es die Situation erforderte. Wir haben uns dabei an Theas Alltag und den jeweiligen Bedürfnissen orientiert. Ich bin dem gesamten Team bis heute zutiefst dankbar, dass es diese Praxis aktiv unterstützt hat. Gerade bei einem so sensiblen Thema war es essenziell, mit Geduld und Achtsamkeit zu handeln, nichts zu überstürzen und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Diese Haltung war ein zentraler Baustein unserer Zusammenarbeit und die Grundlage für den Film.
Ihr habt über drei Jahre an "Für Thea" gearbeitet. Gab es einen bestimmten Moment, in dem ihr gemerkt habt, dass es die richtige Zeit ist, den Film fertigzustellen?
Der Moment, in dem ich glaubte, dass der Film ein Ende finden könnte, kam Anfang 2023, als Thea mich anrief und mir von ihrer Schwangerschaft erzählte. Nicht weil wir ein "happy end" im klassischen Sinne erzählen wollten, sondern vielmehr, weil Theas Erfahrung als Mutter uns tiefer in die Thematik von Trauma und Heilung führt. Das Zusammenspiel von Kindheit und Trauma ist eng miteinander verbunden. Viele Traumata können epigenetisch weitervererbt werden, und viele gehen auf diese früheste Lebensphase zurück.
Doch gerade in dieser Zeit werden auch die Grundlagen eines gesunden Bindungsverhaltens gelegt, die später darüber entscheiden, wie wir mit traumatischen Erlebnissen umgehen. Laut Traumaforschern und Neurobiologen sind die ersten tausend Tage eines Menschen - beginnend im Mutterleib - von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des Selbstwertgefühls und der emotionalen Resilienz. Ist ein Kind in dieser Phase von viel elterlicher Liebe und Sicherheit umgeben, entwickelt es Fähigkeiten, die später, besonders in schwierigen Lebensphasen, von unschätzbarem Wert sind. Theas Schwangerschaft machte uns bewusst, dass sie sich an einem Wendepunkt befindet - nicht nur für ihr eigenes Leben, sondern auch für das eines neuen Menschen. Es war der Moment, in dem der Film den Übergang zu einer neuen Generation markierte.
Neben dem mittellangen Film für die 3sat-Reihe "DocuMe" wird es eine längere Festivalfassung geben. Inwiefern unterscheiden sich die beiden Versionen voneinander?
Die Festivalfassung des Films trägt den Titel "Auch wenn Narben bleiben" und dauert zweiundsiebzig Minuten. Während die Version für die "DocuMe"-Reihe auf eine verdichtete Erzählweise angewiesen ist, erlaubt die längere Fassung, in einem anderen Rhythmus zu erzählen und mehr Facetten von Theas Alltag zu zeigen. Wir tauchen intensiver in ihre Arbeit als Choreografin mit den Tänzer:innen ein und erfahren mehr über die Intentionen des Stücks. Wir sehen sie häufiger als Tanzpädagogin im Frauenzentrum und begleiten sie als Trainerin im Fitnessstudio. Die Videotagebücher bekommen mehr Raum, und ihre Reise als werdende Mutter wird ausführlicher und eindringlicher dargestellt.
Darüber hinaus kommen in der Festivalfassung stilistische Elemente zum Einsatz, die in der kürzeren Fassung nicht zu finden sind, sowie Erzählformen, die mehr Zeit und Raum für Reflexion bieten. Ein wesentlicher Unterschied liegt auch in der künstlerischen Handschrift der beiden Fassungen: Die "DocuMe"-Version wurde von einer anderen Editorin, Nela Märki, geschnitten, wodurch jede Version ihre eigene Dynamik und gestalterische Note erhält.
Interview: Clara Zink, Januar 2025