Eine junge Frau mit zum Pferdeschwanz zurückgebundenen Haaren, steht rechts vor einem groß aufgezogenen historischen Schwarzweiß-Foto in einer Open Air-Ausstellung. Das Foto zeigt vier stehende Frauen, mit langen Kleidern, vor unterschiedlich großen Bomben, die sie im Stahlwerk gefertigt hatten. Die junge Frau zeigt auf ein Detail des Fotos.

Film

DocuMe - Stahlarbeiterin

Maschinenbautechnikerin Lotti arbeitet in einer der letzten Männerdomänen, der Stahlbude von Thyssenkrupp. Im Betriebsrat kämpft sie für die Zukunft ihres Standorts.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2024
Datum:
Sendetermin
03.02.2025
23:00 - 23:30 Uhr
Verfügbar in
D / CH / A

Sie setzt sich für die grüne Transformation ein und organisiert mit der IG-Metall-Jugend zum 1. Mai eine Aktion gegen den Rechtsruck in der Region. Doch die bestehenden Verhältnisse in der Fabrik geraten ins Wanken und privat hat Lotti Sorgen.

An einem Freitagvormittag stehen die Anlagen in der Stahlbude am Schalker Markt für Wartungsarbeiten still. Ann Catherine Meyer (27), die alle mit ihrem Spitznamen "Lotti" ansprechen, führt einen Rollenwechsel an der Streifenschere durch, wo das hauchdünn beschichtete Elektrostahlband nach Kundenwunsch zugeschnitten wird.

Eigentlich könnte es nicht besser laufen. Nach vier anstrengenden Jahren im Schichtbetrieb und an der Abendschule hat Lotti endlich den Techniker-Titel in der Tasche und ist bei Thyssenkrupp zu ihrem Traumjob aufgestiegen. Dort setzt sie sich – seit ihrer Wahl in den Betriebsrat – für die grüne Transformation des Betriebs ein. Die hier produzierten Stahlrollen bilden den Kern von Hochleistungs-Trafos und sind damit essentiell für die Mobilitätswende. Und ohne den Umstieg auf grünen Stahl hat die deutsche Stahlindustrie keine Zukunft.

Am Gelsenkirchener Standort des kriselnden Konzerns hat Lotti auch nach sechs Jahren in der Produktion ausschließlich männliche Kollegen. Mit ihnen teilt sie gerne das technische Interesse und die Leidenschaft für ihren Beruf, aber auf das Label "einzige Frau" hat sie schon lange keine Lust mehr. Die Medien und das firmeneigene Marketing feiern sie als Vorbild für Gleichstellung, anstatt sich um weiteren weiblichen Nachwuchs zu bemühen.

Seit der überraschenden Übernahme von Thyssenkrupp Electrical Steel durch einen tschechischen Investor steht die Zukunft des Betriebs auf dem Spiel. Der Bau des Wasserstoff-Hochofens in Duisburg, den der Bund mit einer Rekordsumme von zwei Milliarden Euro subventioniert, verzögert sich. Auch privat steht bei Lotti alles Kopf. Ihr Vater ist unheilbar an Krebs erkrankt. Während die Betriebsrätin zwischen Beruf, Politik und queerem Lebensentwurf jongliert, überschlagen sich rund um den 1. Mai die Ereignisse.

Die Umgebung des Stahlbetriebs scheint in einer anderen Zeit stehen geblieben zu sein, aber Lotti ist mit ihr tief verbunden. Aus Lottis Umfeld kam immer wieder die Frage: "Warum tust du dir denn so einen Job an? Musst du wirklich ausgerechnet in so ein Hardcore-Umfeld?" Lotti hat ihren Beruf nicht gewählt, weil sie "die einzige" sein wollte. Das Problem liegt in der Frage. "Stahlarbeiterin" erzählt Lottis Erfahrung deshalb nicht als Widerspruch, sondern als gelebte Wirklichkeit, in der ein junger, politisch aktiver Mensch voller Visionen auf eine anachronistische Umgebung stößt.

Durch Lottis Augen erleben wir die komplexe Schnittstelle von persönlicher Identität, industriellem Erbe und sozialem Wandel. Ihre Geschichte ist ein Mikrokosmos der Herausforderungen, mit denen wir in Deutschland heute konfrontiert sind – der Kampf für ökologische Nachhaltigkeit, der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit, der Widerstand gegen rechtsextreme Strömungen und die sozialen Kosten wirtschaftlicher Umbrüche.

Während Lotti privat und beruflich durch schwierige Zeiten steuert, zeigt sie sich als komplexe Figur – die entschlossen ist, einen neuen Weg zu beschreiten und die nicht nur für ihre eigene Zukunft, sondern auch für die Zukunft ihrer Gemeinschaft kämpft. Durch Lottis Geschichte wirft die Autorin Lea Schlude Fragen der Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit in Räumen auf, die sich lange gegen Veränderungen gesperrt haben. Lotti gestaltet Strukturwandel – in jeder Hinsicht.

Lea Schlude hat Film und Philosophie an der Universität in Hildesheim, der Universidade Federal do Parà in Belem, Brasilien und an der Freien Universität Berlin studiert. Ihr erster Dokumentarfilm "Via San Cipriano" (2019) wurde auf internationalen Festivals ausgezeichnet. Für die Recherche für ihren zweiten langen Dokumentarfilm "Hazy Valley" erhielt sie das Wim-Wenders-Stipendium.

Interview mit Filmemacherin Lea Schlude

In dem Film "Stahlarbeiterin" porträtierst du mit Lotti eine junge Frau, die als Maschinenbautechnikerin in einem großen Stahlwerk arbeitet. Kanntest du sie, oder wie bist du auf sie aufmerksam geworden?

Ich habe Lotti durch eine glücklichen Zufall kennengelernt: Ich brauchte wegen eines anderen Projekts über einen indigenen Fußballer aus Los Angeles, der bei Schalke 04 trainierte, für ein paar Monate eine Unterkunft in Gelsenkirchen, und Lotti hat mir ein Zimmer in ihrer WG vermietet. Ich war dann immer mehr fasziniert von ihrer Geschichte, sodass wir allmählich begannen, über ein mögliches Filmprojekt zu sprechen.

Da Lotti auch politisch aktiv ist, konntest du davon ausgehen, dass sie die Öffentlichkeit nicht scheut. Aber wie lief die Zusammenarbeit mit ihr bei den Dreharbeiten? Hat sie Vorgaben gemacht, was sie gefilmt haben wollte und was nicht?

Erstmal haben wir uns ein Jahr Zeit gelassen, um uns überhaupt kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen. Es war mir wichtig, dass Lotti auch eigene Vorstellungen entwickeln kann, bevor sie eine Kamera in ihr Leben lässt. Obwohl sie gewerkschaftlich aktiv ist, war sie es ja gar nicht gewohnt, vor der Kamera zu stehen und über sich selbst zu sprechen. Das Projekt hat sich dann viel in gemeinsamen Gesprächen entwickelt. Wir haben uns über Grenzen und Wünsche verständigt. Ganz oben auf der Liste stand, dass Lotti nicht als "einzige Frau" erzählt werden will, sondern über ihre Arbeit und das politische Engagement. Ihre Motivation war, jungen Frauen Mut zu machen, sich in Industrieberufe zu trauen und ihr Ding zu machen. Das deckte sich gut mit meinem Wunsch, die Vielschichtigkeit und komplexen Erwartungen spürbar zu machen, mit denen Lotti konfrontiert ist.

Lotti hat sich dann bei den Dreharbeiten voll auf ihre Rolle als Protagonistin eingelassen. Konkrete Vorgaben gab es von ihr keine, außer den selbstverständlichen Schutz der Privatsphäre. Ich wollte ihrem Alltag möglichst organisch folgen, insofern war Lotti natürlich stark in die inhaltliche Planung eingebunden, hat ihren Kalender mit uns geteilt. Wenn ich Vorschläge gemacht habe, war mir wichtig, dass Lotti Lust hat auf den Schauplatz, dass sie sich da wohl fühlt. Genauso hat auch Lotti Ideen eingebracht, außerdem hat sie uns mit den Kollegen im Werk verbunden, die ja auch alle involviert waren. Ich finde, dass ein partizipatorischer Ansatz bei kreativen Dokumentarfilmen total wichtig ist. Das ist die ethische Grundlage.

Über die Person Lotti und ihr Arbeitsumfeld hinaus ist ein weiterer "Protagonist" des Films die Landschaft des Ruhrgebiets. Was hat dich als Filmemacherin daran interessiert?

Mich fasziniert das Ruhrgebiet als Ballungsraum, weil er so unglaublich vielschichtig ist. Das meine ich wirklich auf verschiedenen Ebenen, wortwörtlich, wegen der vielen Kohleschichten, und kulturell, historisch. Hier treffen unglaublich viele verschiedene Wirklichkeiten, Milieus, Klassen und Kulturen aufeinander, und es gibt so viele Sedimente vergangener Epochen, die in der Gegenwart weiter anwesend sind. Einerseits ist die Region ein Freilichtmuseum der stillgelegten Schwerindustrie, andererseits gibt es hier spannende Unis und extrem wichtige Kunstinstitutionen. Diese Gleichzeitigkeit fasziniert mich total. Außerdem ist die Schwerindustrie eben trotzdem auch noch lebendig und präsent, wie eben im Leben von Lotti, die sich für die Zukunft von emissionsneutralem Stahl in Deutschland einsetzt, für die grüne Transformation.

Im Film fallen Szenen auf, in denen du die Vorgänge im Stahlwerk zeigst, als folgten sie einer fast tänzerischen Choreographie, was auch an der Musikauswahl liegt. Wie kamst du auf diese "Inszenierung"?

Für den Dreh von "Stahlarbeiterin" war ich das erste Mal in einer großen Fabrik, der Bildgestalterin Laura Emma Hansen ging es ähnlich. Das war für uns alles ziemlich beeindruckend, die riesigen Maschinen, der Geräuschpegel, diese ganzen Bewegungsabläufe, die einer ganz eigenen Logik folgen, auf den ersten Blick völlig undurchsichtig. Wir haben uns dafür entschieden, diese hypnotische Wirkung gestalterisch aufzunehmen, das heißt, die Beziehungen zwischen den Maschinen untereinander und zu den Menschen im Raum wie einen Tanz zu erzählen. Ich interessiere mich generell viel für Bewegung, also dafür, wie sich Körper im Raum bewegen und zueinander verhalten. Das ist immer eine Form von Tanz. Und Tanz ist auch eine Art des Zugangs zu ungewohnten Umgebungen.

Gleichzeitig ging es mir aber auch darum, eine Distanzierung herzustellen, vor allem auch durch die Musikwahl - da spielt ja immer wieder ein Ausschnitt einer Schubert-Sonate, die eigentlich gar nicht in diese Umgebung zu gehören scheint und deshalb irritiert. Da passiert so etwas Entfremdendes, man fühlt sich irgendwie vom Geschehen abgestoßen, anstatt hineingezogen zu werden. Mit dieser Distanz zur Maschinenwelt soll Lottis "Sonderstatus" nachfühlbar werden - der Film entscheidet sich ja dafür, das nicht so sehr in Worten zu vermitteln, aber es wird immer wieder spürbar, dass irgendwas anders ist. Lotti gehört vollkommen dazu, und doch gibt es immer irgendwie einen Unterschied, etwas, das rausfällt. Dieser Unterschied wird von jedem Arbeiter in der Fabrik bemerkt, jedes Mal, wenn Lotti durch die Halle geht. Diese "Störung" in der Wahrnehmung, dafür steht sozusagen auch die musikalische Störung, wie ein störender Kommentar. Gleichzeitig ist das auch ein ironischer Kommentar auf festsitzende Stereotype und ein Zitat auf die Vielschichtigkeit des Ruhrgebiets - zarte Klaviertöne und Stahlarbeiter, warum sollte das denn überhaupt ein Widerspruch sein?

Lotti bestimmt den Film, indem sie von ihrer Arbeit, ihren Interessen, ihrem Privatleben erzählt. Aber du behältst dir durch formale Mittel eine Unabhängigkeit als Regisseurin vor. Wie hat Lotti auf deine Darstellung ihrer Welt reagiert?

Ich glaube, es war uns beiden sehr wichtig, unsere Unabhängigkeit zu bewahren, gerade weil es ja ein intimes Porträt ist. Wir wollten ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis. In diesem Sinne  habe ich ihre Grenzen respektiert und nicht zu etwas gedrängt. So hat Lotti zum Beispiel selbst entschieden, vor der Kamera emotional gefasst zu bleiben. Auf der anderen Seite hat Lotti meine gestalterische Freiheit sehr begrüßt und mich in der Hinsicht vollkommen in Ruhe gelassen - sie war also einfach total neugierig und hat den fertigen Film sehr offen aufgenommen, wie eine von vielen möglichen Perspektiven auf ihr Leben.

Besonders spannend fand sie, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt, also wirklich nur einen ganz kleinen Ausschnitt aus ihrem Leben, in dem sich bestimmte Weichen und Entscheidungen kristallisieren. Sie sagt, der Film habe für sie ein anderes Licht auf eigene Fragestellungen geworfen, die ihr zum Zeitpunkt der Dreharbeiten noch gar nicht so deutlich waren, insbesondere auf den Konflikt zwischen technischer Karriere oder Betriebsratsarbeit.

Interview: Udo Bremer, Januar 2025

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