Film

IchDuWir – Wer pflegt wen?

Wir alle sind in unserem Leben auf Zuwendung und Versorgung durch andere angewiesen. Aber Sorgearbeit in Deutschland ist von gravierender sozialer Ungerechtigkeit geprägt.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2023
Datum:
Verfügbar in
D / CH / A
Verfügbar bis:
bis 15.12.2024

Wer diese Arbeit ausübt, ist meist weiblich, oft schlecht oder gar nicht bezahlt, in Teilzeit oder ehrenamtlich tätig und einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Und trotz der existenziellen Bedeutung von Sorgearbeit erfährt die pflegende Person wenig Wertschätzung.

Der Dokumentarfilm "IchDuWir – Wer pflegt wen?" von Susanne Binninger thematisiert diese enorme Schieflage anhand von fünf bewegenden Geschichten und macht damit auch auf eines der großen gesellschaftlichen Probleme der Zukunft aufmerksam: Wie soll der steigende Bedarf an Pflegekräften gedeckt werden, wenn wir dieser Arbeit nicht den ihr angemessenen Wert zuerkennen? Damit verbunden sind die Fragen: Warum wird Sorgearbeit in unserer Gesellschaft immer noch überwiegend an Frauen delegiert? Welche Aufgaben schreiben wir dem Staat zu, welche uns selbst? Was definieren wir als menschenwürdige Pflege? Und wie sollte sie zukünftig organisiert und bezahlt werden?

Ein still vor sich hin schauender Mann in gelbem Poloshirt sitzt im Rollstuhl vor dem Waschbacken in einem engen Badezimmer. Eine Frau beugt sich von hintern über ihn und umarmt ihn.
Konny pflegt ihren Mann seit vielen Jahren zuhause. In der Alltagsroutine gibt es immer auch Momente der Zärtlichkeit.

Die sogenannten Sorgeberufe umfassen soziale Arbeit, haushaltsnahe Dienstleistungen, Gesundheits- und Erziehungsberufe. Hinzu kommen privat geleistete Hausarbeit, Fürsorge wie Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen. Zusammengenommen ergibt das den Sektor Sorgeabeit (Care-Arbeit). Er ist in Deutschland wie fast überall auf der Welt ein für das Funktionieren von Gesellschaften extrem wichtiger Faktor.

Während der Coronapandemie wurde die mangelnde Wertschätzung für Pflegende vor allem im professionellen Gesundheits- und Pflegebereich überdeutlich, und wieder wurden in der öffentlichen Wahrnehmung diejenigen übersehen, die zu Hause unbezahlte Arbeit leisten, indem sie Kinder aufziehen und Angehörige pflegen.

Menschen, die Sorgearbeit verrichten

"IchDuWir – Wer pflegt wen?" zeigt eindringlich die Leistung von Menschen, die Sorgearbeit verrichten, im Beruf wie auch im privaten Umfeld. Was sie tun, tun sie für andere. Sie leisten enorm viel, aber oft im Verborgenen.

Linda, eine alleinerziehende Mutter, kümmert sich um vier Kinder, eines davon hat das Down-Syndrom. Sie spürt den gesellschaftlichen Druck, einer Lohnarbeit nachgehen zu müssen, schafft das aber nicht und fühlt sich wertlos.

An einem Tisch sitzen zwei junge Frauen und ein junger Mann unterschiedlicher Herkunft, die konzentriert auf jemandem außerhalb des Bildes schauen. Die der Kamera zunächst sitzende Frau ist scharf, die anderen beiden etwas unscharf.
Cholpon aus Kirgisistan während eines Theoriekurses in ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau. Im Hintergrund sitzt Victoria aus Brasilien.

Zwei junge Frauen, Victoria aus Brasilien und Cholpon aus Kirgisistan, haben ihre Heimatländer verlassen, um sich in Deutschland zur Pflegefachfrau ausbilden zu lassen. Sie absolvieren erste Praxiseinsätze im Krankenhaus und in einem Pflegeheim, vermissen ihre Familien und fragen sich, wer sich um ihre eigenen Angehörigen kümmern wird und wo eigentlich die Familien der Menschen sind, die sie betreuen?

Konny pflegt seit 28 Jahren ihren Mann, der an Multipler Sklerose erkrankt ist. Sie hat dafür ihren Job aufgegeben. Nun kämpft sie für die Rechte von pflegenden Angehörigen, "dem größten Pflegedienst Deutschlands".

Angesichts der Anforderungen und Defizite im Pflegebereich sind junge Pflegekräfte wie Valentin und Celina zu Aktivist*innen geworden und auf die Straße gegangen. Sie protestieren für bessere Arbeitsbedingungen. Wenn sich nichts ändert, werden sie ihren Beruf verlassen – wie so viele. Sie kritisieren die systemischen Mängel wie den hohen Arbeitsdruck im Gesundheitswesen, resultierend aus Rationalisierungsbestrebungen und Profitorientierung.

"IchDuWir - Wer pflegt wen?" stellt die individuelle Situation der Protagonistinnen und Protagonisten immer wieder in Bezug zu Statistiken, um die gesamtgesellschaftliche Dimension der angesprochenen Probleme zu verdeutlichen.

Susanne Binninger ist eine versierte Dokumentarfilmregisseurin ("Die Kandidaten", 1997, "Fighter", 2016, "Auf der Spur des Geldes", 2021). Die filmische Qualität ihrer Arbeiten und die gesellschaftliche Relevanz ihrer Stoffe zeichnet ihr Werk aus.

Director's Statement von Susanne Binninger

Porträtfoto einer Frau mit kurzen dunklen Haaren, die direkt in die Kamera schaut: Susanne Binninger, Regisseurin des Films "IchDuWir - Wer pflegt wen?".
Susanne Binninger

"Auch ich habe mich erst dann mit dem Thema Pflege auseinandergesetzt, als meine Mutter pflegebedürftig wurde. Ich fühlte mich zuständig und hatte von da an mit sehr vielen Frauen zu tun: in der Diakonie, im Pflegeheim, im Krankenhaus. Eine überwiegend weibliche Welt, in der die professionellen Sorgearbeiter*innen (Care Arbeiter*innen) eine hohe Motivation brauchen, um ihren gering geschätzten Job durchzustehen und in der das Sich-um-andere-Kümmern im familiären Kontext als selbstverständlicher Dienst verstanden wird. Mich haben diese sorgenden Frauen interessiert, und die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sie ihre Tätigkeiten ausüben.

Weil ich Dokumentarfilmerin bin, ist 'IchDuWir – Wer pflegt wen?' keine Reportage über Mängel im Gesundheitssystem, sondern eine Erzählung, die sich aus mehreren Porträts zusammensetzt. Dabei lag mein Fokus vor allem darauf, Protagonist*innen zu finden, die Nähe zulassen und ihre Geschichten teilen wollen. Ein Dokumentarfilm muss für mich aber noch einen weiteren Anspruch erfüllen: den Blick weiten und das ganze Bild zeigen. Statt eine Aneinanderreihung von singulären Lebensgeschichten wollte ich auch Kontext herstellen, Fakten und Hintergrundinformationen liefern.

Ich glaube, dass sich viele Menschen für das Thema interessieren, weil fast jede*r in der einen oder anderen Form betroffen ist. Aber ich möchte nicht nur Betroffenheit erzeugen, sondern mir geht es um eine Wirkung, die über die Identifikation mit den Protagonist*innen hinausgeht. Der Film soll auch als Appell verstanden werden."

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