Film
Unrecht und Widerstand - Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung
Über acht Jahrzehnte haben deutsche Sinti und Roma Unrecht erfahren. Der Dokumentarfilm erzählt von der Familie von Romani Rose, ihrem Widerstand und ihrem Beharren auf Gerechtigkeit.
- Produktionsland und -jahr:
-
Deutschland 2022
- Datum:
- Verfügbar in
- D / CH / A
- Verfügbar bis:
- bis 29.04.2025
Es ist die leidvolle Geschichte einer Minderheit zwischen Trauma und Selbstbehauptung, die die gesamte Nachkriegszeit hindurch bis in die Gegenwart hinein Gewalt und behördliche Schikanen erlitt und nur dank der Bürgerrechtsbewegung Anerkennung erfuhr.
Im Zentrum des Dokumentarfilms von Peter Nestler stehen Romani Rose, seine Familie, Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
13 nahe Verwandte der Roses wurden in den Lagern der Nazis umgebracht. Romani Roses Vater Oskar war damals untergetaucht und wurde von der Gestapo gesucht. Von seinem mutigen Handeln berichtet der Film ebenso wie von seinem vergeblichen Versuch, im April 1943 beim Münchner Kardinal Michael von Faulhaber um Schutz für die Verfolgten zu bitten, sowie von der riskanten Befreiung seines Bruders aus dem KZ Neckarelz.
Für Roma und Sinti, die den Völkermord überlebt hatten, waren Ausgrenzung, Armut und behördliche Schikanen Alltag. Der Porajmos, der Genozid an der Minderheit, wurde erst 1982 offiziell anerkannt. Peter Nestler beschreibt den langen Weg aus der Rechtlosigkeit und Diskriminierung in die Bürgerrechtsbewegung. Deren unermüdliches Engagement zeugt von Zivilcourage und Bürgersinn, vom entschiedenen Eintreten für das Miteinander diverser Kulturen und von zukunftsweisendem Demokratieverständnis.
Der Film arbeitet mit vielfältigem Archivmaterial sowie Kommentaren von Experten und wird zusammengehalten von dem Gespräch mit Romani Rose über seine Familiengeschichte und seine Erfahrungen als Bürgerrechtler. Nestler drehte bereits 1970 "Att vara zigenare" ("Zigeuner sein") für das schwedische Fernsehen. Damals war es der erste Film, der nicht über die Minderheit sprach, sondern die Menschen selbst zu Wort kommen ließ. Nestler zeigt nun, 52 Jahre später, in "Unrecht und Widerstand", wie hartnäckig sich Vorurteile und Feindbilder gegenüber der Minderheit der Sinti und Roma in der bundesrepublikanischen Geschichte gehalten haben.
Im Rahmen der Arbeit an "Unrecht und Widerstand" entstand auch der Film "Der offene Blick - Künstler und Künstlerinnen der Sinti und Roma".
Peter Nestler über die beiden Filme: "In den Sechzigerjahren habe ich von diesem ständigen Unrecht erfahren, wurde darauf aufmerksam gemacht, vor allem durch die Werke des Malers Otto Pankok, den ich 1965 kennenlernte, und durch die soziale Arbeit von Birgitta Wolf, durch die Schriften von Hermann Langbein, der im Auschwitzprozess einer der Hauptzeugen war. Ich erfuhr von der ununterbrochenen Diskriminierung der Minderheit in Deutschland und Österreich, in der sich alles um den Wiederaufbau drehte, um wirtschaftlichen Aufstieg. Die Kriegsverbrechen wurden ad acta gelegt, und die viele Täter, einstige SS-Angehörige und Kriminalpolizisten, wie auch die 'Rassehygieneforscher', kehrten in ihre Ämter und Positionen zurück, betrieben jahrzehntelang weitere Diskriminierung und Ausgrenzung der Sinti und Roma.
1970 machte ich den Film 'Zigeuner sein', der Menschen der Minderheit zu Wort kommen ließ. Die neuen Filme, 'Unrecht und Widerstand' und 'Der offene Blick', sind eine umfangreiche Bestandsaufnahme aus der Gegenwartsperspektive mit Beiträgen von Menschen der Minderheit, den Nachkommen der Überlebenden, den Historikern, die sich mit dem tief verwurzelten Antiziganismus befassen (sich engagieren!), mit Poeten, Musikern, Fotografen und Filmemachern, Journalisten. Was hat sich geändert, ist besser geworden seit den Nachkriegsjahren, und was droht, schlecht zu bleiben? Das sind die Bausteine der Filme, die wir, das Team zusammengesetzt haben. Das und nichts anderes."
2023 erhielt "Unrecht und Widerstand" den Grimme-Preis in der Kategorie "Information und Kultur". Der Film leiste "einen wichtigen und instruktiven Beitrag zur Chronik bundesdeutscher Geschichte, füllt eine nicht zu akzeptierende Leerstelle und trägt zu aktuellen geschichtswissenschaftlichen Debatten bei", so die Jury in ihrer Begründung am 21. März 2023. Bereits im Jahr zuvor war der Film mit dem 3sat-Dokumentarfilmpreis 2022 ausgezeichnet worden.
Peter Nestler, Jahrgang 1937, zählt seit den 1960er-Jahren zu den bekanntesten deutschen Dokumentarfilmregisseuren. Er lebt seit den 1970er-Jahren in Schweden, hat aber weiter für deutsche Sender und das schwedische Fernsehen Dokumentarfilme realisiert. Zuletzt hat er für das Museum Ludwig den Film "Picasso in Vallauris" (2021) gedreht, zuvor für ZDF/3sat die Filme "Flucht" (2000), "Die Verwandlung des guten Nachbarn" (2001) und "Fremde Kinder: Mit der Musik groß werden" (2003).
Interview mit Filmemacher Peter Nestler
Peter, du weist in deinem "Director's Statement" zu den Filmen "Unrecht und Widerstand" und "Der offene Blick" darauf hin, dass du bereits 1970 für das schwedische Fernsehen den Film "Att vara zigenare" gedreht hast. Was stand am Anfang dieses Interesses an der Situation der Sinti und Roma damals? Gab es persönliche Begegnungen?
1966 bin ich aus der Bundesrepublik nach Schweden umgezogen, dem Land meiner Mutter. Damals hatten die schwedischen Roma ihren Kampf für Bürgerrechte aufgenommen. Ihre Lebensverhältnisse in diesem wohlhabenden Land waren prekär und damals vergleichbar mit denen deutscher Sinti und Roma, den Überlebenden des Holocaust an den Rändern der Städte. Zusammen mit Unterstützern, wie dem Arzt John Takman, waren es in Schweden vor allem die Geschwister Katarina und Rosa Taikon, die bis zum Staatsminister Tage Erlander vordrangen und für ihre Minderheit grundlegende Rechte forderten: Anerkennung als schwedische Volksgruppe, Schulunterricht, menschenwürdige Wohnungen und allgemeine Krankenversicherung. Es gab in Schweden viele Parallelen zu Deutschland, was Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung dieser Minderheit betrifft, auch historisch gesehen und über Jahrhunderte hinweg. Aber unfassbar für mich war in Deutschland das Verschweigen und die Nicht-Anerkennung des Genozids an Sinti und Roma im NS-besetzten Europa. Mit meiner Frau Zsóka lernte ich 1969 einen Sinto aus der ehemals großen Familie Friedrich kennen. Als Kind hatte er den Völkermord überlebt und das Konzentrationslager nach der Befreiung einsam verlassen. Mit ihm als einem der Protagonisten und als Vermittler zu anderen in Deutschland lebenden Zeitzeugen haben wir unseren Film "Zigeuner sein" gedreht. Es gibt eine schwedische und eine deutsche Fassung. In Schweden wurde unser Film sofort gesendet und wiederholt. Es vergingen allerdings Jahre, bis der Film bei einem deutschen Sender gezeigt wurde.
Und was war der Ausgangspunkt, sich über 50 Jahre später des Themas in einer historischen Perspektive erneut anzunehmen?
Das Nachdenken über den Holocaust ist mir geblieben. Als einem Deutschen, wenn auch jetzt mit schwedischem Pass, sitzt mir diese Schreckensgeschichte im Genick, lebenslang. Es entstanden Filme wie "Die Judengasse" (1988), "Flucht" (2000), "Die Verwandlung des guten Nachbarn" (2002). In den letzten Jahren ist "Zigeuner sein" (1970) viel gezeigt worden, vor allem bei Workshops, Konferenzen und Retrospektiven.
Wie ist der Kontakt zu Romani Rose und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern der Bürgerrechtsbewegung zustande gekommen, der es ermöglichte, einen Film wie "Unrecht und Widerstand" zu drehen?
Ohne moralische Haltung ist das Filmemachen wertlos. Peter Nestler
Im Februar 2018 gab es in Berlin eine internationale Konferenz "Antigypsyism and Film", zu der man mich eingeladen hatte, weil "Zigeuner sein" in einem Beitrag von Matthias Bauer (Universität Flensburg) als positives Gegenbeispiel beschrieben wurde in dieser Flut antiziganistischer Filme seit Beginn der Filmgeschichte. Ich sollte die zweite Sektion, "The Question of Ethics", mit einer Rede einleiten und tat dies, unter dem Titel "Ohne moralische Haltung ist das Filmemachen wertlos". In einem Pausengespräch meinte Romani Rose, man sollte einen Film drehen über die Zeit der Bürgerrechtsbewegung, von den Anfängen während der 1970er-Jahre bis heute, aber auch über den Widerstand während der Nazi-Herrschaft, und ob ich da jemanden kenne in der Filmbranche, der das machen könnte. Die Idee fand ich gut und wichtig, habe sie weitergereicht an meinen Freund und Kollegen Rainer Komers, der dann wiederum mich als Regisseur einbinden wollte und als Produzenten den gemeinsamen Freund und Filmemacher Dieter Reifarth. Wir kannten uns seit 50 Jahren, hatten auch einige Filme gemeinsam zustande gebracht, ohne Streit. Ein weiterer Freund, der Tonmeister Michael Busch (einer der besten!), kam später dazu.
Die Arbeit an den Filmen hat sich, meiner Kenntnis nach, über mehr als drei Jahre erstreckt. Wie bist du bei der Recherche und dann bei den Dreharbeiten, die zum Teil unter Pandemie-Umständen stattfanden, vorgegangen?
Bei der Recherche, die auch während der Dreharbeiten ständig weiterging, hatten wir viel Unterstützung von der Forschungsstelle Antiziganismus der Universität Heidelberg bekommen, und vom Dokumentations- und Kulturzentrum des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.
Unser Drehplan musste mehrmals umgeschrieben werden, nachdem im Jahr 2020 Aufnahmen mit Gruppen von Menschen wegen der Ansteckungsgefahr abgesagt wurden. Bei einigen Dreharbeiten war ich von Schweden aus nur per Telefon und Internet dabei, vor und nach den Aufnahmen. Später bekam ich das jeweilige Resultat zugeschickt. Im Juli 2021 aber begann ein sehr intensiver gemeinsamer Dreh in Österreich, Deutschland, Frankreich und Polen.
Insgesamt ist in diesen Jahren der Recherche und des Drehens viel interessantes Material zusammengekommen, neu von uns aufgenommenes und auch Fremdmaterial aus den Archiven der Fernsehanstalten, der Filminstitute und Produktionsfirmen. Aus dem anfangs geplanten langen Film wurden zwei Langfilme.
Sowohl "Unrecht und Widerstand" wie "Der offene Blick" enthält explizit wie implizit eine medienkritische Reflektion der Darstellung von Sinti und Roma in Fotografien, Filmen und in der Fernsehberichterstattung. Kam dieser Aspekt erst im Laufe der Arbeit an den Filmen zum Tragen oder war es dir von vornherein ein Anliegen, dies zu thematisieren?
Dieser Aspekt war von Anfang an da, war geplant - vor allem nach meiner Teilnahme an der oben erwähnten Konferenz "Antigypsyism and Film" in Berlin 2018. Aber ich wusste zu wenig. Die Beiträge der Forscher Radmila Mladenova und Frank Reuter in beiden Filmen sind ungeheuer wertvoll und eben - brauchbar, erhellend.
Du zeigst in deinen Filmen, wie lange sich antiziganistische Vorurteile in unserer Gesellschaft gehalten haben. Wie kann es, deiner Einschätzung nach, gelingen, diese zu überwinden, um zu dem "offenen Blick" zu gelangen?
Durch Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung. Auf der anderen Seite Monitoring rassistischer Hetze im Netz und gegebenenfalls Bestrafung nach Paragraph 130 StGB.
Interview: Udo Bremer, 2022