Eine schlanke Frau mit kurzen grauen Haaren und grauem Pullover, die eine Mund-Nasen-Bedeckung trägt, steht, von der Kamera abgewendet, in einem Zimmer und betet den Rosenkranz. Links neben ihr steht ein offener Sarg.

Film

Die Welt jenseits der Stille

Das Coronavirus stellt die Gesellschaften weltweit auf eine Bewährungsprobe. Der Dokumentarfilm von Manuel Fenn begleitet ein Jahr lang Menschen in zwölf Ländern durch die Pandemie.

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Die Voraussetzungen und Herausforderungen der Protagonisten in Europa, Asien, Afrika, Latein- und Nordamerika können unterschiedlicher nicht sein. Doch alle eint, dass die Gefahr ihnen den Wert des Lebens bewusster macht und sie die Gemeinschaft suchen.

Die Lebensverhältnisse in Rio, Moskau, Berlin, in Amazonien und Haifa sind kaum vergleichbar. Hinzu kommen die Schauplätze Cochabamba in Bolivien, New York, London, Rom, Teheran, Kuala Lumpur und Nairobi. In all diesen Orten und Regionen hat das Team um den Dokumentarfilmer Manuel Fenn vor dem ersten Lockdown im März 2020 Kontakte zu Regisseur*innen geknüpft, die es persönlich kannte, und sie eingeladen, aus ihrer Perspektive in dokumentarischen Miniaturen von Menschen ihres Umfelds in Zeiten von Corona zu erzählen.

Eine Mutter sieht während des Ausgangsverbots die ersten Schritte ihres Babys und sehnt sich nach ihrer Familie (London). Eine Altenpflegerin trägt in einem Land, in der sie nur Gastarbeiterin ist, eine alte Frau zu Grabe (Rom). Ein blinder Mann hört auf einmal eine ganz andere Welt (Kuala Lumpur). Ein obdachloser Pizzabote versteht, dass er wichtig ist, und dass ihm selbst das wichtigste fehlt: eine Wohnung (New York).

Ein Ehepaar muss sich einer jahrelangen Beziehungskrise stellen (Cochabamba). Ein DJ schreibt Songs über den Weltuntergang und ist so kreativ wie nie zuvor (Moskau). Eine junge Frau kehrt in die Welt ihrer ultraorthodoxen Kindheit zurück (Haifa). Ein Klinikmitarbeiter separiert sich von seinem Geliebten, um ihn zu schützen, und sorgt für andere (Rio de Janeiro). Eine alleinerziehende Schuhputzerin sorgt sich um die Sicherheit ihrer Tochter (Nairobi).

Ein Kampfsportlehrer aus China sucht Halt in einer fremden Welt (Berlin). Die Bewohner eines indigenen Dorfs schotten sich ab und bauen vorsorglich ein Haus für die Infizierten (Amazonien). Und am Rande einer Stadt treiben Schäfer jeden Tag unbeirrt ihre Herde zu einer Quelle (Teheran).

Das Material der unterschiedlichen Teams ist von Manuel Fenn und der Cutterin Antonia Fenn zu einem emotionalen und authentischen Film über das erste Jahr der Pandemie komponiert worden, in dem deutlich wird, dass die Menschen noch die Kraft und den Willen hatten, aus den Wunden, die das Virus aufgerissen hat, etwas zu lernen und aus dieser Krise etwas Gutes für sich abzuleiten. Dabei waren die gewöhnlichen Probleme und alltäglichen Herausforderung für sie nicht aufgehoben.

Manuel Fenn zu dem Film: "Wir wollten ein filmisches Zeitdokument schaffen, das ein globales Phänomen global abbildet, allerdings fernab von den Zahlen, Fakten und Expertenmeinungen, die die Medien überfluteten. Wir wollten wissen: Was macht die Pandemie mit den Menschen, und wie beeinflusst sie ihr Leben? Wie gehen sie mit der unbekannten und bedrohlichen Situation um, welche Konsequenzen ziehen sie daraus? Die Pandemie als Auslöser für menschliche Reaktionen auf eine weltweite Krise - das hat uns interessiert."

Seine Uraufführung hatte der Film auf dem "DOK.fest München" 2021. Im September 2021 kam er in die deutschen Kinos.

Interview mit Filmemacher Manuel Fenn anlässlich der Erstausstrahlung 2021

Der Beginn des Projekts war denkbar kurzfristig: unmittelbar mit Beginn des ersten Lockdowns im März 2020. Was war der Auslöser, dennoch in dieser bisher ungekannten Situation das Wagnis eines langen Filmprojekts einzugehen?

Der erste Lockdown in Deutschland war für die Produzenten von Sundayfilm und mich eine vollkommen neue, beängstigende und zugleich faszinierende Situation. Eine Pandemie, die nach und nach die ganze Welt erfasst und alle Menschen vor dieselben Probleme stellt. Keiner von uns konnte ahnen, wie lange uns dieses Virus in seinen Bann ziehen wird, deshalb hatten wir das Gefühl, schnellstmöglich mit den Dreharbeiten beginnen zu müssen. Wir wollten ein globales Phänomen global abbilden und uns dabei nicht auf Zahlen oder Fakten, sondern auf die Menschen, die dahinter stehen, konzentrieren. Selbst wenn uns mittlerweile die vierte oder gar fünfte Welle der Pandemie erfasst hat und die Menschen sich an mehr oder minder strenge Maßnahmen zur Eindämmung des Virus fast gewöhnt haben, wird der erste Lockdown im Gedächtnis bleiben.

Nach welchen Kriterien hast du und das Produktionsteam die RegisseurInnen ausgewählt, die ihr weltweit angefragt habt?

Porträtfoto Manuel Fenn
Regisseur Manuel Fenn
Quelle: Sophia Fenn

Da wir aufgrund der Reisebeschränkungen selbst nicht in den unterschiedlichen Ländern drehen konnten, mussten wir Kollegen vor Ort finden, die bereit waren, für diesen Film einen Beitrag zu leisten. Da wir zunächst nur ein kleines Budget anbieten konnten und zudem die Vorgabe war, dass uns die RegisseurInnen für den Schnitt das gesamte Rohmaterial zur Verfügung stellen, war uns klar, dass zwischen uns und den weltweiten RegisseurInnen von Anfang an ein großes Vertrauensverhältnis existieren muss. Aus diesen Gründen haben wir - zusammen mit den Regiekollegen Michele Cinque und Andreas Pichler - RegisseurInnen angefragt, mit denen wir befreundet sind oder die uns von diesen empfohlen wurden. Bei der endgültigen Auswahl spielten aber auch andere Kriterien eine Rolle, wie die Verteilung der Drehorte auf der ganzen Welt, ein Querschnitt durch die Generationen und Gesellschaftsschichten der Protagonisten und nicht zuletzt die Geschichten, die uns die RegisseurInnen für den Film angeboten haben.

Gab es Vorgaben für die Dreharbeiten der weltweiten Teams, damit die Materialien überhaupt verknüpft werden konnten, und wurde aus diesen Gründen auch auf Episoden verzichtet?

Neben den technischen Vorgaben und dem Wunsch, möglichst professionell gefilmtes Material von den Drehteams zu erhalten, waren die inhaltlichen Vorgaben vor allem an die Protagonisten geknüpft. Wir wollten jedem einzelnen Protagonisten möglichst nah kommen, ihn oder sie ein halbes bis ein dreiviertel Jahr lang eng mit der Kamera begleiten und mit ihnen diese Krisensituation möglichst authentisch durchleben. Sie sollten sich von Anfang an öffnen und uns an ihren Sorgen und Ängsten teilhaben lassen. Sie sollten sich nur zu ihren eigenen persönlichen Erfahrungen mit der Pandemie äußern, nicht andere mit einer politischen Meinung oder ähnlichem bewerten. Nach dem Ende der Drehzeit haben wir bei zwei Episoden gemerkt, dass das nicht in Erfüllung gegangen ist, weshalb wir sie dann nicht in den Film montiert haben.

Wie lief der Montageprozess ab? Mit wie vielen Stunden Material hast du und deine Cutterin (und Frau) Antonia Fenn gearbeitet?

Wir haben uns den insgesamten 160 Stunden Rohmaterial Episode für Episode angenähert. Das heißt, wir haben zunächst von jeder Geschichten einen Vorschnitt erstellt, sozusagen die Essenz aus dem jeweiligen Material. Da wir wussten, dass wir die Geschichten im Film parallel beziehungsweise miteinander verschachtelt und nicht hintereinander erzählen wollen, haben wir diese Vorschnitte bereits in zwei oder drei Teile unterteilt, die die Dramaturgie oder auch die Zeitsprünge innerhalb der Episode berücksichtigt haben. Erst als alle - von ursprünglich 14 Episoden - Vorschnitte erstellt waren, haben wir begonnen, sie miteinander zu verweben. Dieser Prozess war äußerst kompliziert, da wir circa 40 Puzzleteile so arrangieren mussten, dass sie ein dramaturgisch schlüssiges, einzelnes Filmwerk ergeben.

Gab es Aspekte der Corona-Pandemie, die ihr unbedingt hervorheben wolltet, und solche, die ihr bewusst ausgeblendet habt?

Im Unterschied zu anderen Filmproduktionen zur Corona-Pandemie wollten wir uns auf die Schicksale von Menschen konzentrieren, die in den Medien zumindest zu Beginn der Pandemie nicht berücksichtigt wurden, weil deren Geschichten vermeintlich nicht spektakulär genug sind. Doch die Einblicke in das Leben einer Schuhputzerin und ihrer Tochter in Kenia, einem bolivianischen Ehepaar, das sich trennen will, oder einem Pizzalieferanten in New York mit Migrationshintergrund sind universell, wodurch die Protagonisten des Films starke Identifikationsfiguren für die meisten Zuschauer sind - mit vergleichbaren Nöten und Ängsten, aber auch Erkenntnissen und Hoffnungen, die mit den gemeinsamen Erfahrungen der Pandemie einher gehen. Um diese nachdenkliche - manchmal auch poetische - Ebene unseres Filmes nicht zu unterlaufen, haben wir uns bewusst dagegen entschieden, den Film mit Zahlen und Fakten oder Expertenmeinungen zum Verlauf der Pandemie in den jeweiligen Ländern zu überfrachten. Wir wollten uns abgrenzen von der Bilderflut überfüllter Krankenhäuser oder von Querdenker-Demonstationen, die tagtäglich die Medien bestimmte, und stattdessen einen persönlichen, weniger journalistischen Zugang zum Thema finden.

Interview: Udo Bremer, 2021

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