Film
DocuMe - Eine Insel in der Zeit
Der junge kubanische Tänzer Luis emigriert illegal in die USA auf der Suche nach dem besseren Leben im Kapitalismus und um seinen Traum einer Karriere als Dragqueen zu verwirklichen.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2024
- Datum:
- Sendetermin
- 10.02.2025
- 22:25 - 23:05 Uhr
- Verfügbar in
- D / CH / A
Luis strandet in Memphis und kommt nur dank der Hilfe seiner langjährigen kubanischen Freunde Elisabeth und Mosito, beide Teil der queeren Community, durchs Leben. Er jobbt als Putzkraft und bereitet sich auf den großen Auftritt in einem Dragclub vor.
Schon in Kuba hatte sich Luis die Figur der Valentina geschaffen, die er bei seinen Auftritten als Dragqueen verkörpert. Für ihn ist Drag eine Kunstform, mit der er anerkannt werden möchte. Doch als Drag fühlt er sich sogar in der homosexuellen Community diskriminiert. Als Luis' Mutter von Valentina erfuhr, schmiss sie ihn zu Hause raus, mit den Worten, er sei nicht mehr ihr Sohn.
"Dank Valentina bin ich hier", erklärt Luis, sie hat ihn motiviert, sich auf eine mehrwöchige und lebensgefährliche Flucht in die USA zu begeben. Seine beiden kubanischen Freunde, selbst ehemalige Drags, unterstützen ihn mit Ratschlägen in allen Lebenslagen. Elisabeth hat ein privates Frisörstudio, in dem täglich tiefgreifende und temperamentvolle Gespräche über Sozialismus, Kapitalismus, Gender, Nationalität und Haarextensions geführt werden. In Memphis findet Luis auch einen Boyfriend, muss aber mit einfachen Jobs seinen Lebensunterhalt sichern, weil seine wenigen Auftritte als Dragqueen kaum Geld einbringen. Er führt kein glamouröses Leben, und das Geld liegt für einen Migranten nicht auf der Straße.
Einmal hat Luis einen Auftritt in einer kleinen Latino-Bar. Er performt grandios - vor nur vier Gästen. Alle reden von Miami, dem Paradies für kubanische Exilanten und Exilantinnen - dort sei alles besser. Glanz und Elend des Kapitalismus zeigen sich Luis immer wieder in schönster Brutalität: In einem hektargroßen Perückenladen verliert er sich in den Gängen ob der tausend Varianten. Es gibt alles! Aber Luis kann sich nichts davon leisten.
"Eine Insel in der Zeit" ist die ungeschönte Bestandsaufnahme der inneren Zerrissenheit von Luis. Dafür ist auch der Ort sinnbildlich, an dem er gestrandet ist: Auf den Straßen gibt es nur Autos, keine Menschen. Als Ursprungsort von FedEx ist Memphis durchkreuzt von Gleisen, und der Himmel ist voller Flugzeuge. Ein Ort des Transits. Die Güterzüge schneiden sich durch Luis' Hinterhof, schrill und vibrierend arbeiten sie sich durch seinen Kopf, und durch den Film.
Luis lebt in dem Gefühl des Stillstands, obwohl sich alles um ihn herum bewegt. Nachts schleichen sich Erinnerungen an Havanna in Luis' Träume. Die Straßen dort sind voller Menschen, Gemeinschaft und Zärtlichkeit, alle tanzen und sind glücklich. Erinnerungen sind oft trügerisch, das weiß auch Luis, aber vielleicht helfen sie beim Überleben und Kraftschöpfen.
Nach Kuba kann er nicht zurück, dort gibt es für ihn keine Zukunft, es ist "eine Insel in der Zeit", sagt Luis. Doch fühlt sich Amerika so anders an, wenn man als Migrant keine Möglichkeit hat mitzuhalten? Manchmal will Luis sogar Valentina aufgeben, weil er keine Kraft mehr für sie hat. Aber sein Freund Mosito, ein begnadeter Tänzer, motiviert ihn mit dem Hinweis, dass die Show für sie alles sei und sie nur durch sie lebten. Und wenn sie für Valentinas Auftritt vor Mositos Haus proben, entsteht auch bei Luis ein fröhliches Gefühl. Tanz und Aufbruch liegen in der Luft. Luis' große Karriere als Dragqueen liegt vielleicht doch noch vor ihm: in Miami.
Regisseurin Elke Margarete Lehrenkrauss studierte im Jahr 2007/2008 an der EICTV, der Filmhochschule Kubas. Seither kehrt sie regelmäßig nach Havanna zurück und realisierte bisher zwei mittellange Filme auf der Insel. Luis traf sie 2022, als er noch Tänzer des berühmten Kabaretts "Tropicana" war. Sie blieben im Austausch, und eines Tages schrieb ihr Luis: "Ich bin jetzt in den USA!" Elke Margarete Lehrenkrauss hat für ZDF/3sat bereits den Film "Fehler und Irritation" für die Reihe "Ab 18!" realisiert.
3sat zeigt "Eine Insel in der Zeit" im Rahmen der neuen 3sat-Dokumentarfilmreihe "DocuMe", die von Menschen in Veränderungsprozessen erzählt und mit Erzählformen abseits des medialen Mainstreams experimentiert.
Interview mit Filmemacherin Elke Margarete Lehrenkrauss
Luis, dein Protagonist, ist auf schwierigem Weg in die USA gekommen. Wie hast du Zugang zu der Community kubanischer Immigranten in den USA bekommen?
Vor 17 Jahren studierte ich an der EICTV, der Filmhochschule Kubas. Seither bin ich regelmäßig auf die "Insel in der Zeit" - wie Luis Kuba bezeichnet - zurückgekehrt. Während einem meiner letzten Besuche lernte ich über Freunde Luis als ehemaligen Tänzer des "Tropicanas", dem weltbekannten Kabarett in Havanna, kennen. Wir verbrachten Zeit miteinander und entwickelten ein Filmprojekt, von dem Luis Teil wurde. Seither sind wir in Kontakt, und eines Tage schrieb er mir: Ich bin jetzt in den USA!
Was hat für dich den Ausschlag gegeben, ihn als Protagonisten für deinen Film zu wählen: seine Migrationsgeschichte oder seine Ambition als Dragqueen?
Seine besondere Persönlichkeit, und wen er repräsentiert. Auch, wie er mit der Situation umgeht, in die er geworfen wird. Luis' Migration ist durch äußere Umstände verursacht und bringt unkontrollierbare Auswirkungen für ihn mit sich. Seine Identität Valentina und sein Bedürfnis, als Dragqueen zu performen, sind intrinsisch motiviert und stärken ihn. Zwischen diesen beiden emotionalen Extremen - Realität und Performance - oszilliert Luis. Glanz und Elend des Kapitalismus zeigen sich ihm dabei in schönster Brutalität: In einem hektargroßen Perückenladen verliert er sich beglückt in den Gängen ob der tausend Varianten. Es gibt alles - aber Luis kann sich nichts leisten. Das Gold liegt nicht auf der Straße, und der "amerikanische Traum ist nur für diejenigen, die kämpfen können", wie ihn Carmen, die pfiffige Mexikanerin, die seit über 20 Jahren in den USA lebt, belehrt.
In meinen Porträts versuche ich, nicht über einen spezifischen Themenschwerpunkt eine Person zu betrachten, sondern bestmöglich in ihrer Gesamtheit, ihren Ambivalenzen, in ihrer gesellschaftlichen Funktion und ihrer Verortung. So habe ich auch für diesen Film nicht nach einem Thema gesucht und Luis gefunden, sondern bin durch meinen persönlichen Bezug zu Kuba und den Menschen dort zu seinem Porträt gelangt.
Luis lebt in verschiedener Hinsicht zwischen den Welten und den Milieus, wie im Laufe des Films deutlich wird. Wie verlief die Zusammenarbeit mit ihm?
Anfänglich lief der Dreh äußerst organisch und viel zu reibungslos. Luis hatte uns - meinen Kameramann Christoph Rohrscheidt, Tonmann Quimu Casalprim und mich - mitten in sein Leben geholt: zu seinem Trio sich herzlich unterstützender, aktiver und ehemaliger Drags - kubanisch "Transformistas" - und zu allem, was er für seinen Film als interessant erachtete. Es war schön zu beobachten, mit welcher Genauigkeit und Freude er für Valentina und die Show arbeitete, und seine Freunde Eli und Mosito ihn dabei unterstützten.
Im Laufe der Dreharbeiten wurde Luis bewusst - und mir fiel es wieder ein -, was für einen wahnsinnigen Kraftakt das Porträt für die Porträtierten bedeutet. Luis verschwand für ein paar Tage und plante seinen großen Auftritt im bekannten Nachtclub Azúcar in Miami, den wir filmisch begleiten sollten. Kurz vorher brach Luis zusammen. Da traf der Film also auf die Realität der Person, die in ihrem Leben schwimmt, sich nach einer erfolgreichen Zukunft sehnt, die Mutter in der Heimat vermisst, stagniert und am Ende einfach nicht mehr kann. Luis wollte seine Valentina tatsächlich aufgeben, weil er aufgrund der äußeren Umstände keine Kraft mehr hatte für sie. Diesen Zustand versucht der Film zu beschreiben, eine ungeschönte Bestandsaufnahme der Zerrissenheit von Luis, in einem fremden Land, welches ebenso wenig weiß, wohin es gerade steuert.
Unser Film bleibt in Memphis und lässt das Ende hoffend offen. Denn zum Glück gibt es ja seine Community, die ihn aufbaut: "Die Show ist für uns alles, nur durch sie leben wir!", erinnert ihn sein Freund Mosito, der auch proklamiert, dass kein Kubaner es jemals nicht geschafft hat. Und so liegt am Ende trotz aller Unwägbarkeiten doch ein zuversichtliches Gefühl von Tanz und Aufbruch in der Luft.
Im Film werden die Bilder von Zügen und Flugzeugen als Leitmotive eingesetzt, während die atmosphärisch starken Aufnahmen von Memphis fast menschenleer sind. Inwieweit entsprach das eurer Erfahrung oder ist es eine filmische Zuspitzung?
Auf den Straßen gibt es nur Menschen in Autos. Als Ursprungsort von FedEx ist Memphis komplett durchkreuzt von Gleisen, der Himmel ist voller Flugzeuge. Im Film schneiden sich höllisch vibrierende Güterzüge durch Luis' Hinterhof, schrill kreischen sie durch seinen Kopf. Ein Ort des Transits. Er reflektiert Luis' inneren Zustand. Das Gefühl eines merkwürdigen Stillstands, obwohl sich alles um ihn herum bewegt. Luis scheint immer orientierungsloser, verloren in diesem Transit. Ein Alptraum, ein Highway, der in die Dunkelheit führt. Wie David Lynchs Amerika: grotesk, fremd, unheimlich. Nachts schleichen sich erlösende Erinnerungen an Havanna in Luis' Träume; die Straßen sind voller Menschen, Gemeinschaft und Zärtlichkeit - alle tanzen und sind glücklich. Erinnerungen sind oft trügerisch, das weiß auch Luis, aber vielleicht helfen sie beim Überleben und Kraftschöpfen.
Obwohl es im Leben von Luis um Musik und Tanz geht, gibt es in dem Film keine durchgängige Filmmusik. Was waren diesbezüglich deine Intentionen?
Es gab keinen Impuls zu weiterer Musik. Sie hätte als Überladung gewirkt, gewollt und gekünstelt. Luis' Musik erzählt viel eindringlicher und authentischer über seine Person und seine Community, als es extern komponierte Filmmusik vermocht hätte. Nur für die Szene, in der Luis sich an sein Havanna erinnert, hat David Hermann Fox meinen persönlichen sehnsuchtsvoll-nostalgischen Ohrwurm komponiert, aus einem Zitat des chilenischen Schriftstellers Pablo Neruda und den Trommeln Kubas. Ansonsten werden die Stimmungen durch starkes und gezieltes Sounddesign ganz fabelhaft transportiert, wie ich finde. Memphis mit seinen akustisch arbeitenden Gleisen bildet eine reiche Klangkulisse, sie erinnert an melancholisch langgezogene Töne von Saiteninstrumenten und tiefen Bässen.
Interview: Udo Bremer, Januar 2025