"37°: Dann wäre ich ein gemachter Mann - Samirs Lehrjahre in Deutschland": Samir moniert ein Klimagerät auf einem Hausdach.

Gesellschaft

Samirs Lehrjahre in Deutschland Film von Ulrike Schenk

Realschulabschluss geschafft und eine Lehrstelle gefunden: Samir, der mit 15 allein von Afghanistan nach Deutschland kommt, hat hier schon einiges erreicht. Fünf Jahre hat "37°" ihn begleitet.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2019
Datum:

"Dann wäre ich ein gemachter Mann", sagt der inzwischen 20-jährige Samir. Allerdings nur dann, wenn er seine Ausbildung zu Ende bringen und in Deutschland leben könnte. Doch kurz vor der Feier seines Schulabschlusses wird sein Asylantrag abgelehnt.

Über Samirs erste Jahre in Deutschland hat Autorin Ulrike Schenk im "37°"-Film "Ohne Eltern im fremden Land" berichtet. Die Dreharbeiten zu einem zweiten Film beginnen mit einem Termin bei Rechtsanwalt Eberhard Kunz, der seinen Mandanten mit einem Schreiben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge konfrontiert. Gerade wurde Samirs Asylantrag mit der Begründung abgelehnt, dass Afghanistan ein sicheres Land sei.

Zum Zeitpunkt der Ablehnung lebt der junge Afghane, der 2014 vor den Taliban flieht, schon seit drei Jahren in Deutschland und hat hier einiges erreicht: Realschulabschluss geschafft, qualifizierte Lehre begonnen und WG-Zimmer gefunden. Rechtsanwalt Kunz reicht eine Klage beim Verwaltungsgericht ein. Auch Samirs Personalchef Ulrich Koch kündigt an, dass er sich "auf die Hinterbeine stellen werde", sollte sein Lehrling ausgewiesen werden. Denn es herrscht Fachkräftemangel, und der mittelständische Handwerksbetrieb in Wiesbaden braucht dringend seinen Azubi. Die Firma hat in ihren Lehrling investiert und möchte ihn, wenn alles gut läuft, nach der Ausbildung weiterbeschäftigen. Es gibt viel zu wenig geeignete deutsche Bewerber für eine Lehre zum Kälteanlagenbauer: "Da ist es völlig sekundär, ob es ein Flüchtling ist, ob er aus Afghanistan kommt oder aus Afrika. Wir haben einfach einen jungen Mann gesucht, der bereit ist, eine harte Arbeit auf sich zu nehmen", so Ulrich Koch.

"Wenn Afghanistan sicher wäre und ich keine Angst hätte, dann wäre ich nicht hier", sagt Samir, der davon träumt, zu studieren oder zumindest seine Ausbildung erfolgreich abzuschließen und danach seinen Meister zu machen. "Meine Zukunft steht auf so einem Stück Papier, ich kann ja gar nichts planen, weil ich nicht weiß, wie morgen die Politik aussieht und ob ich dann noch da bin."

Gerade rechtzeitig vor Beginn seiner Lehre hat er ein WG-Zimmer mitten in Wiesbaden gefunden. Seine Mitbewohnerin Dinah lotst ihn durch den komplizierten Alltag und macht ihn mit dem Einmaleins der Haushaltführung vertraut. "Wie sinnfrei wäre es, diese schon mittlerweile Jahre hier lebenden jungen Menschen wieder auszuweisen?", fragt Dinah.

Ihm die eigene Familie ersetzen kann auch sie nicht. Samir ist zunächst zusammen mit seiner Mutter und seinem kleinen Bruder von Afghanistan in den Iran geflohen, wo die kleine Familie illegal lebte und die Kinder nicht in die Schule gehen konnten. Der Vater war zuvor bei Auseinandersetzungen mit den Taliban in der Provinz Ghazni im Osten Afghanistans ums Leben gekommen. Vom Iran aus hat Samirs Mutter ihren ältesten Sohn über die risikoreiche Mittelmeeroute in ein sicheres Leben geschickt. Seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu Mutter und Bruder. Es gibt keine feste Adresse und keine Handynummer von ihnen. Samir vermutet, dass die beiden sich nach wie vor illegal im Iran aufhalten. Als ältester Sohn sieht sich Samir in der Verantwortung, ihnen zu helfen. Und fühlt sich ständig schuldig, weil er nicht weiß, wie er das bewerkstelligen soll.

Mittlerweile ist Samir ins zweite Lehrjahr gekommen, die Zwischenprüfung steht bevor, viel Zeit für ein Privatleben oder eine Freundin bleiben dem 20-Jährigen nicht. Noch bekommt er einen kleinen Zuschuss vom Staat für sein WG-Zimmer. Spätestens im dritten Lehrjahr möchte er sich aber komplett selbst finanzieren können. Seine Berufsausbildung und die Klage seines Anwalts schützen ihn vor einer möglichen Abschiebung.

Auf einen Termin für seine Gerichtsverhandlung wartet er inzwischen seit mehr als zwei Jahren. Die Verwaltungsgerichte sind aufgrund der vielen Klagen gegen abgelehnte Asylbescheide überlastet und stehen kurz vor dem Kollaps. "Das Schlimmste ist die Ungewissheit", findet Samir, der zumindest alles daransetzen will, seine Ausbildung "nicht zu vermasseln".

Wie wird das Wiesbadener Verwaltungsgericht in seinem Asylverfahren entscheiden? Wird er eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekommen? Seit fünf Jahren lebt, lernt und arbeitet Samir in Deutschland. Hier ist er erwachsen geworden. Offiziell angekommen ist er noch nicht.

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