Gesellschaft
70 Jahre Londoner Abkommen - Als Deutschland die Schulden erlassen wurden
Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 ebnete Deutschland den Weg ins "Wirtschaftswunder". Taugt die deutsche Nachkriegsgeschichte als Vorbild für den Wiederaufbau der Ukraine?
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Von Ayleen Over
Londoner Schuldenabkommen? Nur wenige Menschen in Deutschland wissen mit diesem Begriff etwas anzufangen. Deshalb wird auch der 70. Jahrestag kaum wahrgenommen. Zu Unrecht, denn ohne dieses Schuldenabkommen und das Entgegenkommen der Gläubiger hätte Deutschland wahrscheinlich niemals sein "Wirtschaftswunder" erlebt.
"Das Londoner Schuldenabkommen ist wahrscheinlich für die wirtschaftliche Entwicklung und die Wiedereingliederung der Bundesrepublik in die Weltwirtschaft von ähnlicher Bedeutung wie der Marshallplan nach 1948", urteilt Prof. Werner Plumpe, Wirtschaftshistoriker von der Universität Frankfurt/Main, gegenüber makro.
Deutschlands langer Weg zurück in die Weltgemeinschaft
Gehen wir zurück in das Jahr 1953. Deutschland liegt immer noch in Trümmern. Moralisch und wirtschaftlich ist die junge Bundesrepublik immer noch kein Teil der internationalen Gemeinschaft.
Sie versucht daher, wieder Vertrauen aufzubauen und Zugang zur Weltwirtschaft zu finden. Aber dafür braucht sie internationale Kreditwürdigkeit. Und da gibt es immer noch die Altschulden aus der Zeit vor dem Krieg sowie die seitdem angefallenen Zinsen.
Kein zweites Versailles
1953, das ist die Zeit des Kalten Krieges und der Blockbildung. Die westlichen Gläubiger haben daher hohes Interesse an einer stabilen Bundesrepublik. Zudem wollen die Gläubiger die Fehler der Weimarer Republik vermeiden, als Deutschland durch die Reparationsforderungen unter Druck geriet.
Daher soll eine zu hohe Schuldenlast die junge Demokratie in der Bundesrepublik nicht gefährden. Die Gläubiger, das sind allen voran die West-Alliierten sowie unter anderem Kanada, die Schweiz und die Niederlande.
Faktenbox zum Londoner Schuldenabkommen
USA verzichtete auf Forderungen
Die Verhandlungen in London klammerten die Schulden aus dem Krieg ganz aus. Zudem verzichteten die US-Amerikaner auf einen Teil ihrer Forderungen aus der Nachkriegszeit.
Und noch ein Punkt war sehr wichtig, meint Werner Plumpe: "Da die USA einen Teil der Altschulden erließen, konnten die jährlichen Tilgungsraten so angesetzt werden, dass die Bundesrepublik im Wirtschaftswunder sehr schnell die Devisen verdienen konnte, die notwendig waren, um diese Schulden abzutragen, die man dann auch bis in die 1960er Jahre hinein abgetragen hat."
Verhandlungen auf Augenhöhe
"Das Schuldenabkommen ist bis heute in seiner Art einzigartig", sagt Jürgen Kaiser vom Entschuldungsbündnis Erlassjahr gegenüber makro. Denn Deutschland verhandelte damals als Schuldner auf Augenhöhe mit den Gläubigern.
Das sei bis heute nicht selbstverständlich. Auch Werner Plumpe betont den ungewöhnlichen Konsenscharakter der Verhandlungen: Nichts sollte im Konflikt gegen die deutsche Seite ausgehandelt werden.
Blaupause für die Ukraine?
Für Jürgen Kaiser hat daher das Londoner Schuldenabkommen bis heute Vorbildcharakter - vor allem mit dem Blick auf die Ukraine, die momentan große Kredite als Unterstützung für Krieg und Wiederaufbau erhält.
Die Gründe waren zwar unterschiedlich, die Folgen aber ähnlich: Sowohl Deutschland der 1950er Jahre als auch die Ukraine von heute seien kriegszerstörte Länder und gleichzeitig Teil einer Blockkonfrontation, so Jürgen Kaiser von Erlassjahr.
Appell an deutsche Verantwortung
Auch wenn bislang kein Kriegsende in Sicht ist, sei die Vorstellung von einer stabilen Ukraine schon heute wichtig. Gelder für den Wiederaufbau sollten auch nur für den Wiederaufbau verwendet werden und nicht zur Rückzahlung von Krediten, die aus der Zeit des Krieges stammen.
Daher fordert Jürgen Kaiser, "dass Deutschland im Falle von Verhandlungen eine Position einnehmen sollte, die seiner historischen Verantwortung gerecht werde". Auch die Historikerin Prof. Ursula Rombeck-Jaschinski von der Universität Stuttgart, die viel zum Londoner Schuldenabkommen geforscht hat, hält fest, "dass Deutschland bewusst sein sollte, dass in früheren Zeiten viele Länder Deutschland geholfen haben".