Gesellschaft

Ausgefischt - Die Nordsee und der Brexit

Der Brexit bedeutet für die Fischerei diesseits und jenseits der Nordsee ein Leben in der Ungewissheit. Das gemeinsame Meer ist zur unberechenbaren See geworden.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2019
Datum:
Verfügbar
weltweit
Verfügbar bis:
bis 29.11.2024

Von Markus Böhnisch und Roman Mischel

Ja oder nein - Kai-Arne Schmidt gäbe viel für einen guten Hinweis. Die falsche Entscheidung wird ihn Millionen kosten. Deshalb steckt er gerade tief in der Zwickmühle. Das alles nur wegen des Wunsches vieler Briten, die EU zu verlassen und wegen der fehlenden Mehrheiten im britischen Parlament, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Die Wellen der Politik, sie schlagen heftig gegen die Bordwände vieler europäischer Fischer auf der Nordsee.

Schon vor dem ersten Brexittermin Ende März waren wir diesseits und jenseits der Nordsee unterwegs. Nun, ein halbes Jahr später, fuhren wir wieder los, um herauszufinden, wie sich die Haltung der Betroffenen verändert hat.

Investieren oder nicht?

Einer von ihnen ist Kai-Arne Schmidt. Er ist Geschäftsführer von Kutterfisch, dem letzten deutschen Verbund von Hochseefischern. Zwei neue Schiffe hat Schmidt dieses Jahr gekauft, eine große Investition für das mittelständische Unternehmen. Er hat noch eine Option auf ein drittes. Millionen Euro teuer, aber trotzdem Millionen günstiger, weil es Teil dieses Trios wäre. So ist das mit der Werft vereinbart.

Doch Schmidt muss sich bis zum 31. Dezember 2019 entschieden haben. Ja oder nein. Nach zwei geplatzten Brexitterminen - Ende März und Ende Oktober - liegen jetzt noch die Wahlen vor ihm. "Es ist eine der schwersten Entscheidungen, die uns derzeit beschäftigt", sagt Schmidt und hat für das Theater in London nur noch Kopfschütteln übrig.

Gleichzeitig muss der 54jährige einen kühlen Kopf bewahren, denn die Grundlage seiner Fischerei, an der rund 250 Arbeitsplätze auf den Schiffen und in der Verarbeitung in Cuxhaven hängen, ist in Gefahr.

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Neue Grenze in der Nordsee

Viel Fisch wird in britischen Gewässern gefangen. Käme es zum harten Brexit ohne Vertrag zwischen den Briten und der EU, dann wäre gut die halbe Nordsee für Kutterfisch tabu. Denn die sogenannte "ausschließliche Wirtschaftszone" reicht bis zu 200 Seemeilen weit aufs Meer hinaus, rund 370 Kilometer. Dort dürften dann nur noch britische Fischer arbeiten.

Im Fall des Herings, der nahezu komplett in britischen Gewässern gefangen wird, stünden die deutschen, dänischen oder auch französischen Fischer vor einer Katastrophe. Deshalb haben alle versucht, ihre vereinbarte Fangquote für das Jahr 2019 schnell noch vor dem Brexit-Datum am 31. Oktober abzufischen. Keiner wusste, was kommt.

Brexit-Begeisterung schwindet

Peterhead an der schottischen Ostküste. Hier weiß man sehr genau, wie fischreich die eigenen Gewässer sind: Hering, Kabeljau, Seeteufel. Nirgends in Großbritannien wird so viel Fisch angelandet und gehandelt wie auf diesem Fischmarkt. Wir waren bereits im Januar hier und spürten damals Brexit-Euphorie. Davon ist wenig übrig.

Die Fischer hier glaubten seinerzeit - anders als die Mehrheit der Schotten - an die Brexit-Versprechen aus London: Mehr Fisch, mehr Arbeit, mehr Geld. Wir treffen Andrew Charles, Fischhändler und -verarbeiter. Für ihn geht diese Gleichung nicht auf: "Ich bin überzeugt, dass Großbritannien gegen den Rest Europas in einen Krieg über die Fischereizugänge ziehen müsste".

Frust in Schottland

Er ist mittlerweile so frustriert, dass er die schottische Selbstverwaltung innerhalb der EU als beste Lösung sieht. Das britische Unterhaus hält er nur noch für unfähig. Von den Parlamentswahlen am 12. Dezember erwartet Charles deshalb auch "nur mehr Nebel".

Sein eigenes Unternehmen verkauft derzeit vor allem Fisch innerhalb des Königreichs. Doch es gab andere Zeiten, da exportierte er fast den gesamten Fisch, auch nach Deutschland. Kommt der Brexit, egal ob mit oder ohne Vertrag, dann "brauchen wir fünf Export-Bescheinigungen pro Kundenbestellung. Das wird mein Unternehmen 113.000 Pfund pro Jahr kosten", klagt Charles. Es könnte sein, dass er sich den Export als kleiner Mittelständler nicht mehr leisten kann.

Unsicherheit und Stillstand sind in Peterhead mit Händen zu greifen. Alle warten auf eine Entscheidung, auf verlässliche Rahmenbedingungen. Sie sind Grundlage des Geschäfts. Nicht anders bei Kai-Arne Schmidt, dem Chef von Kutterfisch, und der Frage zum "Go" für das dritte Schiff: Ja oder nein?

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