Gesellschaft
Einzelhandel in Corona-Zeiten: "Schlechte Karten"
Einen großen Teil der lokalen Händler werde es nach Corona nicht mehr geben, prophezeit der Einzelhandelsexperte Gerrit Heinemann im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin makro.
- Datum:
Der große Profiteur des globalen Shutdowns ist der Onlineriese Amazon, das Geschäft boomt. Großer Verlierer ist der stationäre Handel - ausgenommen Lebensmittel. Die Corona-Krise verschärft den Unterschied zwischen denen, die online erfolgreich sind, und jenen, die es nicht sind. Einzelhandels- und eCommerce-Experte Prof. Gerrit Heinemann sagt: "Für die kleinen lokalen Händler in der Innenstadt ohne Onlineshop sieht es düster aus."
makro: Amazon ist der große Gewinner der Corona-Krise. Gilt das für den Onlinehandel insgesamt oder baut Amazon gegen Online- wie Offline-Konkurrenz seine Marktanteile aus?
Gerrit Heinemann: In den ersten Wochen der Conora Krise zeichnet sich ab, dass Amazon und auch die Online-Lebensmittelhändler die großen Gewinner sind, während dem stationären Handel durch den Shutdown rund 25% seiner Umsätze fehlen.
Aber auch Online verliert: Vor allem die Online-Modehändler, die für mehr als ein Fünftel aller Online-Handelsumsätze stehen, haben den Start der Sommersaison Ende Februar verpasst, weil aus China die Lieferungen ausgeblieben sind. Im März und April werden für gewöhnlich mindestens 50% der Sommerwaren verkauft. Wenn dann die Ware einfach nicht da ist, dann merkt das eben auch Zalando.
Dagegen geht es bei Amazon eher um das Problem Engpass- und Wachstumsbewältigung. Insofern wächst der Online-Gigant Amazon bis auf die Lieferdienste und eFood sowohl gegen Online als auch gegen Offline.
Zur Person
-
Experte für Einzelhandel und eCommerce
makro: Hat der stationäre Einzelhandel, insbesondere der kleine Laden in der Innenstadt, überhaupt noch eine Chance?
Heinemann: Schon vor Corona hatten viele kleine Einzelhändler schlechte Karten. Deren Marktanteil hat sich in den letzten Jahren bereits mehr als halbiert und betrug per 2019 noch rund 15 Prozent. Bereits vor Corona wurde ein weiterer Verlust zwischen 26.000 und 64.000 dieser Solitäre prognostiziert, allerdings erst bis 2030. Dieser Prozess wird nun durch den "Katalysator Covid 19" beschleunigt.
Andererseits konnten bisher vor allem die großen Filialketten, die in der Regel auch über funktionierende Onlineshops verfügen, ihren Marktanteil in den letzten Jahren deutlich ausbauen. Darüberhinaus sind stationäre Supermärkte und Drogerieläden ja weiter offen.
Vor allem im Lebensmittelhandel geht zurzeit die Post ab. Gleiches gilt für Baumärkte und Gartengeschäfte. Von der Corona-Krise und den Filialschließungen ist immerhin drei Viertel des bisherigen Umsatzes nicht betroffen. Aber eines ist klar: Für die kleinen lokalen Händler in der Innenstadt ohne Onlineshop sieht es düster aus.
makro: Firmen wie Shopify öffnen selbst kleinsten Läden den Weg in die Online-Welt, bei mehr Freiheitsgraden als der Amazon-Marketplace. Ist das eine Lösung?
Heinemann: Den Einzelhändlern, die bisher digitale Themen verweigert haben, wird auch Shopify nicht helfen können. Ein Webauftritt ist zweifelsohne wichtig, sollte aber kein potemkinsches Dorf sein. Vor allem die Systeme, Prozesse und Servicestandards hinter dem Webauftritt müssen funktionieren. Das haben wir schon in den Anfangsjahren des eCommerce gelernt.
Aber nach Erhebungen der IHK Bonn fehlen den meisten der lokalen Einzelhändler immer noch die Voraussetzung für aktiven Onlinehandel, nämlich ein funktionierendes Warenwirtschaftssystem. Und wer für das Onlinegeschäft gut aufgestellt ist, schließt sich häufig den großen Plattformen Amazon und Ebay an, deren Marktanteil von 95% zumindest eine gewisse Aufmerksamkeit der Kunden garantiert.
makro: Viele Geschäfte leiden unter dem Shutdown. Wird das Hilfsprogramm der Bundesregierung die meisten Läden retten oder scheitert es am Ende an der Praxis?
Heinemann: Die finanzielle Förderung allein hilft keinem Betrieb beim Überleben. Erst, wenn die richtigen Schritte eingeleitet sind, kann Hilfe von außen überhaupt greifen. Das Maßnahmenpaket der Bundesregierung ist ein wirklich beispielloses Unterstützungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Es beantwortet alle Fragen, die ich an die Politik in genau dieser Situation habe. Vor allem das Aussetzen der Insolvenzmeldepflicht ist ein entscheidender Punkt. Unternehmer können Zahlungen aussetzen, ohne dafür verklagt zu werden, wie es gängige Praxis in harten Insolvenzverfahren ist. Schließlich wird Insolvenzverschleppung regulär als Kapitalverbrechen geahndet.
Auch das Kurzarbeitergeld ist eine pragmatische Lösung, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Mit diesen finanziellen Hilfen bzw. Hilfestellungen ist die radikale Vollbremsung möglich, die jetzt für einige Händler unausweichlich wird. Wenn ich als Einzelhändler mutig genug bin, ermöglichen mir diese Maßnahmen, meine Fixkosten zu senken und die Dürreperiode zu überstehen.
makro: Die Post-Corona-Welt wird eine andere sein. Wie wird der Einzelhandel aussehen - und unser Einkaufsverhalten?
Heinemann: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es in vielen Innenstädten leerer aussehen. Einen großen Teil der lokalen Händler wird es nicht mehr geben. Die Kundenfrequenz wird ebenfalls weiter abnehmen. Der Online-Handel wird stärker sein als je zuvor.
Und auch die Kunden werden andere sein. Wir werden uns noch lange daran erinnern, dass zu volle Läden ein gesundheitliches Risiko darstellen. Die Krise führt nicht nur kurzfristig zu einem veränderten Zahlungsverhalten. Vor allem hygienische Bezahlverfahren - also NFC oder Mobile Payment - werden die Gewinner der Pandemie sein.
Das Interview führte Carsten Meyer.