Gesellschaft
Klimawandel: Die Permafrost-Farmer
Es klingt schon irre, wenn Otto Mühlbach am kanadischen Polarkreis Gemüse und Getreide anbaut. Aber ganz so irre ist das nicht, sagen Agrarforscher. Es könnte die Zukunft sein. Macht der Klimawandel die Tundra zur Kornkammer?
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Von Carsten Meyer
Auf einstmals eisigen Böden könnten bald Kühe und Rinder weiden oder landwirtschaftliche Produkte wie Getreide und Mais angebaut werden. Christopher Poeplau vom Thünen-Institut sagt: "Mit dem Klimawandel werden mehr Menschen nach Norden ziehen und mit der Landwirtschaft beginnen."
So wie Otto Mühlbach. Den Deutschen hat es in den Norden Kanadas verschlagen, rund 240 Kilometer südlich des Polarkreises. Dort, in Sunnydale bei Dawson, nahe dem Yukon River, hat er mit seiner Partnerin die Kokopellie-Farm aus dem Boden gestampft. 2013 ging es los. Heute bewirtschaften die beiden zwei Hektar eigenes Land plus 15 Hektar gepachtet von den Nachbarn.
Kräuter, Salat, Blumenkohl
Die beiden haben mit den Jahren viel ausprobiert. Die Erkenntnis: Kräuter, Salat und Blumenkohl wachsen gut, auch Hafer und Roggen gedeihen prächtig. Mittlerweile bauen sie fünf Sorten Kartoffeln an.
Mühlbach gilt als Vorhut einer neuen Farmer-Generation: Anbau auf tauenden Permafrostböden. "Wir arbeiten eigentlich nur in den oberen 20, maximal 25 Zentimetern", sagt er. "Das wäre das, wo die Pflanzen ihr Wurzelsystem etablieren und tiefer müssen wir nicht gehen."
Früher, so berichten ihm die alten Bewohner der Gegend, sei ab dem 20. September der Frost gekommen. Zwar gebe es auch heute bereits im September immer mal wieder Frost, erzählt uns der Farmer, aber bis Ende Oktober werde es dann meist noch einmal warm.
"100 Tage. Du hast genau 100 Tage"
Mühlbach hat im Laufe der Jahre gelernt, sich auf die Veränderungen des Klimas einzustellen. Er nutzt den warmen August mit seinen 20 Grad, um neue Flächen zu roden. Die Herausforderung ist für ihn die sehr kurze Kulturzeit: "100 Tage. Du hast genau 100 Tage vom Saatkorn bis zur Ernte. Später kommt Mutter Natur mit Frost, Eis und Schnee. Und dann ist Feierabend."
Trotz aller Widrigkeiten: Sechs Tonnen Getreide und Gemüse produziert die Kokopellie-Farm auf den Permafrostböden jährlich - und steht nun sogar im Fokus der Wissenschaft.
Es bildet sich neuer Humus
Auf den Feldern und im Wald haben Forscher des Thünen-Instituts für Agrarklimaschutz Mess-Sonden in die Erde getrieben. Daheim in Braunschweig werden alle Daten aus Kanada ausgewertet. Dr. Christopher Poeplau leitet das Projekt. Seine bisherigen Forschungsergebnisse bestätigen die Beobachtungen von Landwirten wie Otto Mühlbach:
"Überraschend war dann wirklich zu sehen, dass auf den Äckern, auch wenn sie erst seit ein paar Jahren Acker sind oder teilweise auch nur Gemüsebeet, kein Permafrost mehr zu finden war im oberen Meter." Mikroorganismen werden aktiv; es bildet sich neuer Humus. Durch die Bodenanalyse erfahren die Forscher, wie sich die Böden verändern und ob sie geeignet sind für den Anbau von Getreidepflanzen.
Neue Kornkammern im Norden
"Die landwirtschaftliche Produktion wird sich im Zuge des Klimawandels nach Norden ausweiten", sagt Poeplau.
Für die Klimakrise ist der tauende Permafrost ein Brandbeschleuniger. Und doch könnten die neuen Kornkammern im Norden einen Teil jener Ackerflächen ausgleichen, die durch Erderwärmung und Dürren andernorts verloren gehen. Die möglichen Anbaugebiete, so die Forscher, entsprächen etwa einem Drittel der heutigen weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche.