Gesellschaft
Von Nachhaltigkeit sind wir weit entfernt
Abfälle entsorgen können wir tatsächlich besser als die allermeisten Länder, wir machen nur leider nicht genug daraus, sagt Dr. Henning Wilts, Experte für Kreislaufwirtschaft im makro-Interview
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makro: Jährlich verbrauchen wir ca. 1,6 mal mehr natürliche Ressourcen als die Erde uns zur Verfügung stellt. Wie schaffen wir es zu einem gesunden Gleichgewicht zu kommen?
Henning Wilts: Tatsächlich sind wir hier von Nachhaltigkeit weit entfernt und die Folgen dieser Überschreitung planetarer Grenzen bekommen wir immer deutlicher zu spüren. Der Klimawandel ist die vielleicht drängendste Herausforderung, genauso katastrophal ist aber beispielsweise auch der dramatische Verlust von Biodiversität – all diese Entwicklungen machen dann auch Pandemien wie Covid-19 immer wahrscheinlicher. Leider gibt es hier auch keine einfachen Lösungen, sondern eine Vielzahl an Strategien müssen ineinandergreifen: Wir müssen den Ressourcenverbrauch umweltverträglicher machen, z.B. durch weniger Schadstoffe; wir müssen unsere Konsummuster überdenken – und wir müssen den Ressourcenverbrauch insgesamt drastisch reduzieren.
makro: Was genau bedeutet Kreislaufwirtschaft? Wie kann man sie umsetzen?
Henning Wilts: Von Seiten der Politik wären sicherlich ambitionierte Ziele und klarere Rahmenbedingungen förderlich... Henning Wilts
Henning Wilts: Kreislaufwirtschaft bedeutet, den Wert von Produkten und der in ihnen enthaltenen Rohstoffe am Ende der Nutzungsphase möglichst optimal zu erhalten. Das klingt simpel, erfordert in der Umsetzung aber die Kooperation vieler Akteure entlang der Wertschöpfungskette. In Deutschland verwechseln wir Kreislaufwirtschaft häufig mit Abfallwirtschaft: Abfälle entsorgen können wir tatsächlich besser als die allermeisten Länder, wir machen nur leider nicht genug daraus. Betrachtet man die Leitindikatoren für Kreislaufwirtschaft, so liegen wir mittlerweile unterhalb des europäischen Durchschnitts und drohen hier sehr schnell den Anschluss zu verlieren – mit entsprechenden Konsequenzen für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie.
makro: Warum wird nicht von Anfang mitgedacht, wie man Produkte so gestalten kann, dass Ressourcen wiederverwertet werden und möglichst wenig Abfall entsteht?
Henning Wilts: Leider haben wir viele Produkte, die sich tatsächlich kaum sinnvoll recyceln lassen, z.B. viele unserer Kunststoffverpackungen. Hier wäre natürlich wünschenswert, wenn Recyclingfähigkeit von Beginn an mitgedacht würde – gesetzlich gefordert ist es aber nicht und auch die ökonomischen Anreize stimmen häufig nicht: Warum sollten die Hersteller in neue Produktionstechnologien und verbessertes Produktdesign investieren, wenn am Ende vor allem die Recycler mehr Geld verdienen. Aufwand und Ertrag fallen hier leider auseinander und so unterbleiben viele Investitionen, die sich gesamtwirtschaftlich absolut rechnen würden.
makro: In Zukunft sollten Produkte langlebiger und reparierbar sein. Unser Konsum wird sich dadurch verändern. Haben Unternehmen überhaupt ein Interesse daran solche Produkte herzustellen?
Henning Wilts: Für die Unternehmen ergibt sich damit im Prinzip die Chance, ganz neue Geschäftsmodelle zu entwickeln: Das Unternehmen Phillips hat beispielsweise schon früh beschlossen, in Zukunft keine Glühbirnen, sondern Beleuchtung zu verkaufen. Damit rechnet es sich jetzt sofort, wenn die Lampen effizienter werden oder tatsächlich länger halten. Solche Konzepte sind häufig anspruchsvoll, die Unternehmen müssen viel besser verstehen, wozu die Kunden ihre Produkte eigentlich verwenden wollen – wenn das gelingt, können durch solche zirkulären Geschäftsmodelle sogar viel höhere Gewinnmargen erreicht werden.
makro: Braucht es mehr Druck von Seiten der Politik aber auch der Verbraucher damit sich solche Konzepte durchsetzen?
Henning Wilts: Von Seiten der Politik wären sicherlich ambitionierte Ziele und klarere Rahmenbedingungen förderlich; für den Verbraucher müsste es vor allem deutlich einfacher zu erkennen sein, was jetzt tatsächlich ein kreislauffähiges und ressourcenschonendes Produkt ist – in Frankreich wurde dieses Jahr beispielsweise ein Gesetz erlassen, dass in Zukunft jedes Elektronikgerät gekennzeichnet werden muss, wie leicht es sich reparieren lässt.
Das Interview führte Sabine Meierhöfer