Gesellschaft
"Eigene Produktionskapazitäten ausbauen"
Die Pandemie zwingt zum Realitätscheck, nicht zuletzt bei Produktion und Lieferketten. "Die Digitalisierung kann in vielerlei Hinsicht Lösungen bieten", sagt Prof. Julia Hartmann.
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- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 09.02.2026
makro: Die Pandemie offenbart die Schwächen langer Lieferketten, nicht nur beim Impfstoff und seinen Vorprodukten. Wie reagieren Unternehmen darauf? Mehr Lagerhaltung, Diversifizierung der Zulieferer?
Julia Hartmann: Natürlich haben einige Unternehmen versucht, ihre Lagerbestände zu erhöhen, um auch in der Pandemie lieferfähig zu bleiben. Allerdings ist das keine langfristige Strategie, denn Lagerbestände binden Kapital und das Material veraltet. Langfristig werden Unternehmen ihre Lieferketten also flexibler gestalten müssen, indem sie eigene Produktionskapazitäten ausbauen.
Gleichzeitig werden sie Abhängigkeiten von einzelnen, kritischen Lieferanten reduzieren und alternative Quellen aufbauen. Hier werden sie sich vermehrt in der Nähe, z.B. in Osteuropa, umsehen. Das geht allerdings einfacher für Komponenten und Materialien, die weithin verfügbar sind wie Plastik, Holz oder Kleidung. Schwieriger wird es bei spezialisierten technischen Produkten wie Platinen oder Touchscreens.
Zur Person
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Nachhaltiges Supply Chain Management, EBS Business School
makro: Kann es gelingen - trotz hoher Lohnkosten -, Produktionsarbeitsplätze in Deutschland zu halten, vielleicht gar Produktion zurückzuholen? Und welche Rolle spielen dabei Digitalisierung und Automatisierung?
Hartmann: Produktion wird immer moderner und digitalisierter - egal wo sie stattfindet. Daher lässt sich heute über Standorte hoch-automatisierter Produktionsstätten viel unabhängiger von Faktoren wie dem Lohnkostenniveau entscheiden als früher. Davon könnte auch Deutschland profitieren.
makro: Wie stehen Sie zu der These, dass die Digitalisierung unternehmerischer Abläufe Firmen agiler und resilienter macht, mithin also auf kommende Krisen und Umbrüche besser vorbereitet?
Hartmann: Die Pandemie hat verdeutlicht, dass viele Unternehmen nicht ausreichend in der Lage sind, ihre global verzweigten, komplexen Lieferketten zu steuern. Hier kann Digitalisierung in vielerlei Hinsicht Lösungen bieten. Unternehmen können zum Beispiel leichter herausfinden, wo die Schwachstellen in der Lieferkette sind und Notfallpläne erarbeiten.
Mittels Blockchain lassen sich Echtzeitdaten darüber generieren, wo ein Produkt gerade in der Lieferkette hängt. Das gesamte Zollwesen ließe sich digital abbilden. All das macht Lieferketten transparenter und agiler.
makro: Der Schlüssel zur digitalen Zukunft ist die Software, sind Algorithmen. Nicht gerade die Kernkompetenz der deutschen Wirtschaft. Müssen wir hier fundamental umdenken?
Hartmann: In der Tat können viele Unternehmen die Menge an Daten, welche täglich in ihrer Lieferkette generiert werden, kaum erfassen oder auswerten. Sowohl in der Lieferkette als auch in der eigenen Fertigung schaffen Kompetenzen in den Bereichen Robotik, Blockchain, 3D-Druck und anderen Industrie-4.0-Technologien ungeahnte Wettbewerbsvorteile, die deutsche Unternehmen für sich nutzen können.
Das Interview führte Carsten Meyer.