Gesellschaft

Südtirols Apfelrebellen

Äpfel sind ein zentraler Wirtschaftsfaktor für Südtirol. Doch gegen die mächtige Apfelindustrie formiert sich Widerstand im Alpenland. Die kleine Gemeinde Mals macht mobil gegen den Einsatz von Giften auf den Obstplantagen.

Produktionsland und -jahr:
Deutschland 2021
Datum:
Verfügbar
weltweit
Verfügbar bis:
bis 09.11.2026

Tief im Westen Südtirols, im Vinschgau, liegt die Gemeinde Mals. Sie ist das alpenländische Pendant zum kleinen, gallischen Dorf, das die wichtigste Exportbranche Südtirols zu Zorneswallungen reizt.

Stein des Anstoßes ist eine Volksabstimmung aus dem Jahr 2014, in der 75 Prozent der Malser chemische Pflanzenschutzmittel aus dem Gemeindegebiet verbannten. Ein herber Schlag gegen die expansionshungrige Apfelindustrie.

Gegen Gift

Einer der Initiatoren ist Johannes Fragner-Unterpertinger. Der Apotheker kennt sich aus mit der Wirkung von Giften. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wie Captan, ein Wirkstoff gegen Pilzkrankheiten, der in großen Mengen gegen Apfelschorf eingesetzt wird, gehört in seinen Augen verboten.

Der örtliche Tierarzt, Peter Gasser, fürchtet vor allem einen Verlust an Biodiversität. Auch die Verschandelung der Landschaft, die "einfach unter Plastikfolien, Hagelschutznetzen, Betonsäulen, Maschendrahtzäunen verschwindet", ist ihm ein Graus. Und was ihn gewaltig störe, ergänzt er noch, sei das Micro-Land-Grabbing, also "wenn Investoren von auswärts kommen und uns das Land unterm Arsch wegkaufen!"

Wichtigste Exportbranche

Doch die Apfelplantagen sind ein zentraler Wirtschaftsfaktor: Mit 18.000 Hektar ist Südtirol, das größte zusammenhängende Apfelanbaugebiet Europas. In der Vinschgauer Obstgenossenschaft und anderen Verarbeitungszentren starten fast eine Million Tonnen Äpfel jedes Jahr ihre Reise auf den Weltmarkt. Auf 700 Mio. Euro Umsatz kam Südtirols Apfelindustrie zuletzt.

Der Apfelertrag pro Hektar ist weltweit spitze. Dabei organisieren die großen Obstgenossenschaften die Geschäfte für viele, meist kleine Obstbauern. Walter Pardatscher, Direktor des einflussreichen Verbands der Südtiroler Obstgenossenschaften, lobt die Qualität der Äpfel und wehrt sich gegen den Vorwurf, es werde zuviel gespritzt. Fragt man ihn, wieviel denn gespritzt werde, weicht er aus: "Ich geh davon aus, dass es diese Zahlen gibt, man kann die auch rückrechnen, aber ich selbst weiß die nicht."

Streit um die Spritzhefte

Seit Jahren weichen die Obstgenossenschaften der Forderung nach Veröffentlichung der Spritzzahlen aus. Beim Ausweichen bleibt es jedoch nicht, auch der Klageweg ist ein vielfach genutztes Instrument, Kritiker in die Schranken zu weisen. Ulrich Veith, der Bürgermeister von Mals, bekam das zu spüren. Karl Bär vom Umweltinstitut München steht wegen übler Nachrede und Markenschutzverletzung in Bozen vor Gericht. Mehr als 1370 Apfelbauern haben Klage gegen ihn eingereicht.

Das Ganze könnte aber noch zum Bumerang für die Apfelbranche werden. Durch den Prozess bekommt Bär nämlich offiziell Einsicht in die sogenannten Spritzhefte - Tagebücher über den Einsatz von Pestiziden, die die Justiz bei Bauern beschlagnahmt hat. In diesen Dokumenten sei, erklärt uns der Umweltaktivist, "aufs Gramm genau, auf Flurnummern genau, tagesgenau aufgeschrieben, was im Jahr 2017 die Leute, die mich angezeigt haben, an Pestiziden eingesetzt haben".

EU-Subventionen zementieren den Status quo

Dass so angebaut wird, wie angebaut wird, ist auch dem EU-Subventionsregime geschuldet. 2020 erhielten die beiden großen Obstgenossenschaften Südtirols und weitere Empfänger aus der Apfelbranche zusammen über 34 Millionen Euro an Agrarsubventionen.

Der Apfelbauernhof von Andrea Ladurner liegt in Goldrain. Sie würden 15 Mal im Jahr spritzen. Bei der Förderung einer umweltgerechteren Landwirtschaft wäre sie sofort dabei. Sie ist, wie viele Apfelbauern, in der Zwickmühle: Viele wollen weniger Chemie, doch die eigenen Verbände, die mächtigen Einzelhandelsketten und auch die Verbraucher zwingen oft in eine andere Richtung.

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