Kultur
Eugen Gomringer zum 100. Geburtstag
Um Sprache als sinnliches Material und nicht als Trägerin von Sinn geht es dem Begründer der konkreten Poesie: Eugen Gomringer. Zum 100. Geburtstag hat seine Tochter Nora Gomringer sein Gedicht "Das kleine gelbe Quadrat" animiert.
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 20.01.2027
1925 als Sohn eines Schweizers und einer Bolivianerin in Bolivien geboren, wuchs Eugen Gomringer in der Schweiz auf. Mit seinem frühen Gedicht "Avenidas" schrieb er sich in den 1950er-Jahren den Brückenschlag zwischen Südamerika und Europa.
"avenidas / avenidas y flores / flores / flores y mujeres / avenidas / avenidas y mujeres / avenidas y flores y mujeres y un admirador" Eugen Gomringer
Ins Deutsche übersetzt heißt das: "Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer." Sprache als Objekt, Methode, Struktur zum Malen von Klangbildern. Gomringer versteht sich als konstruktiver Poet, seine Lyrik ist frei von Metaphysik, oft mit Augenzwinkern. Ein konkreter Klangmaler, für den sich Lyrik im selben Raum bewegt wie Architektur und Malerei. Er arbeitet auch als Werbetexter und sieht hier Parallelen. Was heute in der Werbesprache geschehe, komme aus der konkreten Poesie, sagt Gomringer.
Niemals die Heiterkeit verlieren
Für sein Gesamtwerk wurde Gomringer 2011 mit dem Alice-Salomon-Poetikpreis ausgezeichnet. "Avenidas" wurde auf die Mauern der Berliner Alice Salomon Hochschule geschrieben. Doch mit der #MeToo-Debatte änderte sich der Blick auf das Gedicht. Nicht die Sprache, die Frau wird als Objekt darin ausgemacht. Studierende der Hochschule sahen es als Teil einer patriarchalen Kunsttradition, die die Frau als bloße Muse gleichsetzt mit Blumen und Alleen. 2018 wurde das Gedicht übermalt. Die Presse, große Teile der Kulturwelt und die Kulturstaatsministerin waren empört. Die Tochter des Schriftstellers, Nora Gomringer, reagierte 2018 mit gelassenem Unverständnis. "Ich bin auch eine Frau, ich habe ihn auch mit einem weiblich strengen Auge geprüft. Ich bin auch eine feministische Frau, die sich dafür einsetzt, dass es Frauen auf der ganzen Welt gut gehen soll. Da kann ich nur sagen, da liest jemand etwas hinein." Eugen Gomringer selbst sah die Aufregung gelassen: "Ach die Debatte darf sein, muss und sie schadet nicht. Ich glaube, dass durch den Umgang mit Kunst Maßstäbe gebildet werden. Nicht nur für den einzelnen, sondern für die Gemeinschaft, mit der Zeit."
Dogmatismus nein, lebhafte Diskussion ja, und niemals die Heiterkeit verlieren. Am 20. Januar 2025 wird Eugen Gomringer 100 Jahre alt. Seine Tochter Nora Gomringer gratuliert mit einer Animation seines Gedichts "Das kleine gelbe Quadrat".