Gesellschaft
Google und die Autobauer: "Kampf der Welten"
Big Data erobert das Auto - ein Paradigmenwechsel. Der Markteintritt von Google, sagt Branchenkenner Stefan Bratzel, stelle die Rolle der Automobilhersteller fundamental infrage.
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makro: Warum spielen Daten, Kommunikation und Software bei Autos eine immer größere Rolle? Um welche Daten geht es?
Stefan Bratzel: Die Themen Vernetzung und Software werden für die ganzen Funktionen, die wir im Auto nutzen wollen, immer wichtiger. Da geht es um ganz schlichte Informations- und Unterhaltungsfunktionen, beispielsweise die Nutzung von Kartendaten. Aber es geht auch um grundlegende Funktionen des Fahrzeugs, die über Software gesteuert werden, - von Fahrerassistenzsystemen bis hin zu Sitzeinstellungen. D.h. das Fahrzeug besteht in seinen Kernkompetenzen heute eigentlich zu großen Teilen aus Softwarefunktionen.
Die erhobenen Daten sind gewissermaßen das Blut, das durch die Softwarealgorithmen fließt. Die Automobilhersteller müssen, um auf der Höhe zu bleiben, immer genauer wissen, wie sich der Mensch im Fahrzeug verhält. Das erfährt man durch jene Daten, die der Nutzer hinterlässt. Wie häufig verwendet er bestimmte Systeme? Fahrzeugdaten über das Fahrverhalten und zur Performance von Systemen. Funktioniert die Batterie noch oder nicht? Wie ist es mit der Reichweite? Und, bei Fahrerassistenzsystemen für autonomes Fahren: Wo will der Fahrer hin?
Für all das braucht es immer mehr Software und Daten. Insofern ist das Auto heute ein Smartphone, ein Computer auf Rädern.
Zur Person
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Center of Automotive Management
makro: Immer mehr Autobauer setzen auf Googles Android Automotive als Betriebssystem ihrer Fahrzeuge. Was ist der Charme dieser Lösung? Können sie es nicht selbst?
Bratzel: Was sich gerade entwickelt, habe ich einmal "Kampf der Welten" genannt. Da sind zum einen die Automobilhersteller, die ihre Systeme - zusammen mit ein paar Zulieferern - bisher immer selbst entwickelt haben. Doch jetzt kommen die Big-Data-Player. Sie bringen nicht nur Dienste ins Auto, wie etwa Navigation oder Infotainment, sondern die Betriebssysteme der Fahrzeuge selbst. Der bekanntest und wichtigste ist tatsächlich Google mit Android Automotive.
Der große Vorteil der Big-Data-Player ist, dass sie die Vernetzung mit ins Auto bringen. Android Automotive ist nicht nur ein Open-Source-Betriebssystem, für das der Automobilhersteller nichts zahlen muss. Es ermöglicht zusätzlich noch eine Vernetzung mit entsprechenden Google-Diensten und der Außenwelt insgesamt. Das hat natürlich einen Riesen-Charme.
So entscheiden sich viele Autobauer, jüngst sogar Ford, für Android Automotive. Da hat man eine schöne Lösung, die sofort funktioniert, braucht das ganze nicht selber zu machen und ist schon hochvernetzt unterwegs.
Die deutschen Hersteller hingegen wollen eigene Systeme entwickeln. Das würde ich ihnen auch raten - allerdings ist es sehr aufwendig. Und sehr teuer. Und sie müssen die Vernetzung zur Außenwelt - zu den Diensten von Google, von Apple und anderen - auch schaffen. Darauf kommt es an! Keine einfache Aufgabe, da es neue Kompetenzen sind, die die Automobilhersteller hier lernen müssen.
Fakten zu Android Automotive
makro: Inwiefern spielen Netzwerkeffekte eine Rolle, wenn sich immer mehr Hersteller für Googles System entscheiden? Die Software verbessert sich ja.
Bratzel: Absolut. Hier spielen Daten natürlich eine große Rolle, was kleinere Hersteller mit wenigen Autos bei der Entwicklung eigener Lösungen klar benachteiligt. Sobald hingegen viele Hersteller Android Automotive einsetzen und die User die Funktionen nutzen, entstehen besagte Netzwerkeffekte: Google kann die generierten Daten zur Verbesserung seines Betriebssystems nutzen.
Und: Immer mehr unabhängige Entwickler können Apps für Googles Plattform auf den Markt bringen. Es wird für diese Drittanbieter auch immer attraktiver - der Netzwerkeffekt! -, neue Entwicklungen für Android Automotive einzubringen. Diese können dann über Over-the-Air-Updates schrittweise eingespielt werden.
makro: Wird Android Automotive zum De-facto-Standard für Autos, so wie Android heute den Smartphone-Markt dominiert?
Bratzel: Das ist sicherlich das Ziel von Alphabet [Mutterkonzern von Google - Anm. d. Red.]: einen De-facto-Standard zu schaffen, an dem praktisch keiner vorbei kommt. Alphabet verdient dann auch sehr gutes Geld, indem die erwähnten Apps in seine Stores Eingang finden und entsprechende Umsätze generieren.
Im Prinzip versuchen Automobilhersteller wie Volkswagen etwas Eigenes zu entwickeln, um dem etwas entgegen halten zu können. Eine entscheidende Frage wird sein, ob Volkswagen es aufgrund seiner Fahrzeugkompetenz schafft, ein System hinzubekommen, das besser ist. Das wird ein spannender Kampf werden!
makro: Wer das zu schaffen scheint, ist Tesla. Der E-Auto-Pionier setzt erfolgreich auf sein eigenes System - so wie Apple beim iPhone. Wird Tesla das Apple der Autobranche?
Bratzel: Im Moment ist das tatsächlich so. Tesla hat sein ganzes Fahrzeug aus der Software heraus entwickelt. Sie kommen aus dem Silicon Valley, sie kommen aus der Software-Welt und haben genau diese Kernkompetenz. Das ist ein Riesenvorteil. Deswegen ist Tesla die Benchmark unter den Automobilherstellern, was das Thema Vernetzung anbetrifft. Over-the-Air-Updates sind das beste Beispiel: dass man Neuerungen ähnlich wie beim Smartphone alle paar Tage auf sein Auto einspielen kann. Das ist die Richtung, die die Welt einschlägt.
Wirtschaftsdokumentation
makro: Kann hier sonst noch jemand mithalten?
Bratzel: Es kommt eben drauf an, wie gut Android Automotive künftig ist. Können dort aus Kundensicht so tolle Mehrwerte erzeugt werden, dass damit ein Quasi-Standard entwickelt wird? Oder gelingt es vielleicht längerfristig Volkswagen, ebenfalls einen solchen Standard zu entwickeln? Aber: Es wird am Ende nicht viele Betriebssysteme für Fahrzeuge geben.
Die gleiche Entwicklung haben wir übrigens auch in China. Da ist Alibaba mit AliOS ein großer Player.
makro: Provokant gefragt: Mit dem Elektroantrieb kommt die Batterie aus China und wegen der Daten kommt die Software aus dem Silicon Valley. Was wird aus den Autobauern? Bleiben sie Koch oder werden sie Kellner?
Bratzel: Das ist die große Frage! Die Autobauer müssen im Moment stark aufpassen, - salopp formuliert - nicht als die Foxconns von Apple zu enden [Foxconn ist der taiwanesische Auftragsproduzent, der in chinesischen Fabriken für Apple die iPhones fertigt - Anm. d. Red.]. Damit verlören sie den Kontakt zum Kunden und säßen nicht mehr am Steuer der Branche.
Den Endkundenkontakt hätten dann die großen, neuen Player - und die machen dann auch das eigentliche Geschäft. Es ist eine reale Gefahr - ich würde sagen 50 zu 50 - ob das in 10, 15 Jahren so sein wird oder nicht.
Hinzu kommt noch der Trend zum Sharing. Wenn große Unternehmen wie Uber oder Didi Chuxing diejenigen sind, die Endkundenkontakt haben, bestimmen sie auch, wie die Autos aussehen. Genau das passiert gerade. Der Fahrdienstvermittler Didi Chuxing, das Uber in China - übrigens größer und stärker als Uber -, hat bereits mit dem chinesischen Auto- und Batterieproduzenten BYD ein Joint-Venture gegründet und 100.000 Autos bestellt. Nach seinen Wünschen.
Setzt sich diese Entwicklung fort, werden die Automobilhersteller eben nur noch Zulieferer sein für die großen Unternehmen mit Endkundenkontakt - Didi Chuxing, Uber, Apple oder Google.
makro: Wenn Software für die Funktionalität des Autos immer wichtiger wird - was wird dann aus der Markenbindung? Die Marke war ja immer ein Pfund, mit dem unsere Autobauer gerade auch im Ausland wuchern konnten?
Bratzel: Ich glaube, man muss die Marke neu definieren. Was definiert eine Marke im Software-Zeitalter? Es ist eben nicht mehr nur das Design oder die Anmutung des Interieurs. Das spielt zwar noch eine Rolle, aber es kommen die Themen Software und Daten hinzu. Man kann es schon ein Stück weit daran ablesen, wie wichtig die Displays in den Fahrzeugen geworden sind.
Man muss es tatsächlich neu definieren. Das gilt für den Ownership-Bereich, also für klassische Autokäufer, und erst recht im Sharing-Bereich: Wenn ich mir ein Robotaxi ordere, spielt die Marke eine sehr viel geringere Rolle. Im Sharing-Bereich kommt es auf den Kundenkontakt an. Hier gilt es, eine funktionierende Plattform zu entwickeln und entsprechende Netzwerkeffekte zu haben.
Das Interview führte Carsten Meyer.