Kultur
"Kulturzeit" vom 21.04.2023: Die Radikalisierung der Mitte
Die Themen der Sendung: "Massenradikalisierung" - Gespräch mit Autorin Julia Ebner, Krieg und Krisen in den Medien, Doku "Museumsdiebe auf Beutezug", Anna Mitgutsch, Bukahara "Tales of the Tides" und Krimibuchtipps.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2023
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 21.04.2025
Die Themen der Sendung:
Julia Ebners Buch "Massenradikalisierung" - Gespräch mit der Autorin
Seit Corona, dem Sturm aufs Kapitol in Washington und dem Ukraine-Krieg ist Radikalisierung zum Massenphänomen geworden. In jedem Freundeskreis und in jeder Familie scheren Leute aus: Es entstehen Massenbewegungen, rekrutiert aus der Mitte der Gesellschaft - Querdenker, QAnon, Impfgegner - radikal und brandgefährlich. Die Extremismusforscherin Julia Ebner hat sich in vielen Jahren wissenschaftlicher Arbeit und Recherche und in Undercover-Einsätzen mit der Frage beschäftigt, warum so viele anfällig sind für radikale Ideen, welche Strukturen und Mechanismen dahinterstehen und was unternommen werden muss im Kampf um Gerechtigkeit und Demokratie. Nachzulesen ist dies in ihrem neu erschienenen Buch "Massenradikalisierung". Wir sprechen mit ihr darüber, warum die gesellschaftliche Mitte Extremisten zum Opfer fällt.
Krieg und Krisen in den Medien
Klimawandel, Corona, der Ukraine-Krieg, Erdbeben: Die Welt befindet sich gefühlt im Dauer-Krisenmodus. Und wir sind über unseren täglichen Nachrichtenkonsum mittendrin. Nachrichten beeinflussen, wie wir denken, wen wir wählen, wofür wir unser Geld ausgeben - und sie wirken sich oftmals auf unsere Stimmung aus. Viele Menschen fühlen sich hilflos angesichts von Krieg und Katastrophen. Psychische Erkrankungen nehmen zu. Aber welche Lehren ziehen wir daraus? Müssen wir Nachrichten anders konsumieren – oder müssen Medien anfangen, anders zu berichten ? Braucht es konstruktivere Nachrichten – oder eine gänzlich neue Herangehensweise an das Weltgeschehen? Die Debatte darüber wird im Journalismus immer häufiger geführt. Und einige Redaktionen haben daraus Lehren gezogen. Der Radiosender Cosmo (WDR) sendet beispielsweise täglich ein Rubrik "Good News". Und die ARD hat vor Kurzem eine Studie zu konstruktivem Journalismus durchführen lassen - mit eindeutigem Ergebnis: Dieser wirkt sich positiv auf die Befindlichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer aus. Auch die Macher des 2022 gegründeten Bonn Institute wollen erforschen und lehren, wie der Journalismus sich verändern muss, um morgen noch relevant zu sein. Im Fokus steht dabei ein konstruktiver Ansatz, der "einen Mehrwert für die Menschen schafft und unsere demokratische Gesellschaft stärkt".
Diebstahl in Museen
Es ist das neue "Wunder von Dresden": Drei Jahre nach dem spektakulären Juwelendiebstahl aus dem Grünen Gewölbe ist ein großer Teil der entwendeten Schätze wieder da. Möglich wurde das durch einen Deal zwischen Mitgliedern des Remmo-Clans und dem Gericht: Juwelen gegen Haftminderung. Was genau ist da passiert? Was können wir aus diesem Fall lernen? Wie können wir unsere Schätze besser schützen? Und wie bekommen wir den immer noch fehlenden Teil des Diebesguts zurück? Was lässt sich aus dem Dresdner Fall lernen und welche Konsequenzen können für andere Fälle gezogen werden, wie den noch ungeklärten Münzraub von Manching? Eine erste Konsequenz ist sicherlich: Weg mit Gold und großen Juwelen aus den Vitrinen. Müssen wirklich, wie in Manching, ein Haufen Münzen mit einem Materialwert von 250.000 Euro hinter einer Glasscheibe lagern? Oder können es nicht zum Teil auch Duplikate sein?
3sat-Kulturdoku
Autorin Anna Mitgutsch
Seit ihrem Debütroman "Die Züchtigung" (1979) kreist Mitgutschs Schreiben um die NS-Vergangenheit, die die 1948 in Linz geborenen Autorin schon früh als ein Lebensthema umtrieb. Im Roman, einem Abarbeiten an ihrer Mutter, die als Bauerntochter aufwuchs und aus der Enge dieses Milieus in die Stadt heiratete, scheitert die Protagonistin Maria daran, das über Generationen weitervererbte Korsett aus sozialer Kontrolle und Unfreiheit abzulegen. Dass "da etwas war", spürte sie als Jugendliche bei der Mutter schon früh, wie sie im Interview sagt. Ein nicht ausgesprochenes Trauma, das nicht nur in der Familie, sondern in der gesamten österreichischen Nachkriegsgesellschaft herrschte. Das Interesse für die Ausgestoßenen und Schwachen, jene Lebensläufe, an denen Politik sich durch Zwangsmaßnamen offenbart, begleitet Mitgutsch seit ihrer frühen Lektüre von Anne Franks Tagebuch, dem einzigen Buch, das sie je gestohlen hat, wie sie im Gespräch zugibt. Ihre Beschäftigung mit der Schoah hat sie dem Judentum nahegebracht, zu dem sie konvertierte. Inzwischen ist sie Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Linz.
Mitgutsch selbst hat für sich einen Lebensweg verfolgt, der nach Weite und Freiheit suchte: Nach dem Studium der Anglistik und Germanistik und ihrer schriftstellerischen Arbeit pendelte sie 30 Jahre lang zwischen Boston und Linz, wo sie heute wieder ständig lebt. In der Rückschau reflektiert sie über ihre vielen Rollen: "Ich wollte immer alles. Ich wollte Akademikerin sein, ich wollte Schriftstellerin sein, ich wollte Mutter sein, ich wollte Ehefrau sein, ich wollte viel reisen. Mein Traum war immer, ein New-York-Intellectual zu werden." Der deutschsprachige Literaturmarkt scheint Mitgutsch periodisch zu vergessen und wiederzuentdecken. Zuletzt war das 2016 mit ihrem Roman "Die Annäherung" der Fall: Die politische Familiengeschichte, in der in wechselnden Perspektiven die langsame Annäherung des 96-jährigen Theo mit seiner Tochter Frieda mit der Aufarbeitung seiner NS-Vergangenheit verschaltet wird, würdigte zwar Karl-Markus Gauß in der "Neuen Zürcher Zeitung", eine breitere Beschäftigung der Öffentlichkeit mit dem Roman fand aber nicht statt, obwohl "Die Annäherung" es auf die Shortlist für den österreichischen Buchpreis schaffte. Die öffentliche Auseinandersetzung mit diesem Werk der Erinnerung und der Parteinahme für Ausgestoßene wird in eine neue Runde gehen, wenn Mitgutschs aktuelles Projekt, eine Art Autobiografie in Briefen, erscheinen wird.