Kultur
"Kulturzeit" vom 05.04.2024: Ein halbes Jahr Krieg in Israel und Gaza
Die Themen der Sendung: Dokumentation des 7. Oktober, der Nahostkonflikt und die Kulturszene, Sexshops in der ostdeutschen Provinz, 30. Todestag von Curt Cobain und Kinderbuchtipps.
- Produktionsland und -jahr:
- Deutschland 2024
- Datum:
- Verfügbar
- weltweit
- Verfügbar bis:
- bis 05.04.2025
Die Themen der Sendung:
Geschichtsschreibung in Echtzeit - Historiker dokumentieren den 7. Oktober
Nichts wird sein, wie es vorher war. Das war bereits am 7. Oktober 2023 allen Juden klar. Auch Historiker begriffen, dass der Tag des Massakers als Zeitenwende in der jüdischen Geschichte schnell, gründlich und umfassend dokumentiert werden müsse. Am schnellsten reagierte Steven Spielbergs USC Shoah Foundation. In den letzten fünf Monaten hat die Foundation mehr als 400 Aussagen von Überlebenden und Augenzeugen des 7. Oktobers gesammelt. Es sind Zeugenaussagen von teilweise unvorstellbarer Grausamkeit. Manchen Zeugen fallen die Aussagen sichtlich schwer. Andere berichten täuschend lakonisch. Doch der Schock des Massakers sitzt bei allen tief. Zentraler Aufbewahrungsort für die Katalogisierung ist die Nationalbibliothek Israels, die am 29. Oktober im Schatten des Krieges ihr neues Gebäude eröffnet hat. Israels Nationalbibliothek war als Partner der Shoah Foundation nahelegend. "Diese Zusammenarbeit", so der NLI-Vorsitzende Sallai Meridor, "wird das Verständnis von Israelis für die Tiefpunkte und Höhepunkte der Menschheit vertiefen, von den niedrigsten Stufen der Grausamkeit, Brutalität und Bosheit bis hin zu den höchsten Punkten der Widerstandsfähigkeit, des Glaubens und des Mutes". Dr. Robert J. Williams von der Shoah Foundation fügt hinzu: "Unsere gemeinsame Arbeit wird die umfassendste Archivarbeit weltweit zur Aufzeichnung antisemitischer Gewalt darstellen. Forscher und Geschichtenerzähler können – jetzt und in Zukunft – auf diese Archive als unwiderlegbare, öffentlich zugängliche Ressource zurückgreifen, auf die sie sich im laufenden Kampf gegen Antisemitismus verlassen können."
Doch im digitalen Zeitalter ist das nur Teil der Geschichtsschreibung. Vier junge Historiker*innen der Tel Aviv Universität arbeiten seit dem 7. Oktober an einem Archiv sozialer Medien. In der Flüchtigkeit des Internets, sagen sie, durfte keine Zeit verloren werden, um das "Civil Testimonial Archive of the 7th October Hamas Attack" anzugehen. Gemeinsam mit der Nationalbibiliothek, und interaktiven online Projekten wie "Mapping the Massacre" sehen sie sich als der dritte Pfeiler der Dokumentation: Was sie absetzt, sind ihre Quellen aus Internet und Zivilgesellschaft. Aufgrund der Diversität sozialer Medien und der ethnischen Vielfalt Israels ist das Projekt extrem komplex. Ein arabischer Student durchforstet arabische, ein russischer Student russisch-sprachige Medien. Dazu kommt: Geschichtsschreibung sozialer Medien, Methodik und Archivierung sind Neuland. Die ersten Pionierprojekte fand die Tel Aviv Universität im Ukrainekrieg. Ein erstes Fazit der Arbeit am "Civil Testimonial Archive", sagt Or Rappel-Kroyzer, der leitende Informatiker des Projekts, sei die Dysfunktion des Staats nach dem Angriff und die Stärke der israelischen Zivilgesellschaft: Mitglieder der Netanjahu Regierung gingen zum Beispiel nicht zu Beerdigungen, weil sie legal nicht dazu verpflichtet waren. Eine Aktivistin namens Yael Sherer, so fanden die jungen Historiker heraus, sprang in die Lücke und organisierte online Gruppen von Amtsträgern, um die Beerdigungen der Opfer zu besuchen. Die Geschichtsschreibung des 7. Oktobers scheint zu bestätigen, was bereits in den ersten Tagen nach dem Angriff spürbar war. Das Massaker und der darauffolgende Krieg waren unter anderem Resultat einer dysfunktionalen Regierung. Aber die Arbeit zeigt auch, dass die israelische Zivilgesellschaft fähig und Willens ist, diese Regierung in ihrem Versagen zu ersetzen.
Wie umgehen mit der Situation im Nahen Osten?
Während man in Israel versucht die Geschichte der Tragödie vom 7. Oktober 2023 zu dokumentieren und aufzuarbeitetn, machen sich jüdische und palästinensische Intelektuelle in Österreich Gedanken, wie man mit der akutellen Situation im Nahen Osten umgehen soll. Wann ist Kritik an Israel erlaubt? Und ist es der einzig richtige Weg in einer so aufgeheizten Stimmung palästinensische oder israelische Künstlerinnen oder Künstler von Preisverleihungen oder Messen auszuladen - aus Angst einen Shitstorm auszulösen?
Doku "Verhärtete Fronten"
Ein Bruch geht durch den Kulturbetrieb, der Krieg in Nahost spaltet wie nie zuvor. Meron Mendel, Historiker und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, und seine Frau, die Politologin Saba-Nur Cheema, setzen sich unermüdlich für Verständigung ein. Das jüdisch-muslimische Ehepaar reist seit Monaten zu Vorträgen und Diskussionen quer durch Deutschland. Im Ruhrgebiet besuchen die beiden eine islamische Gemeinde in Herne-Röhlinghausen. Denn die Debatte um den Gaza-Krieg belastet auch die muslimischen Communitys: Der Antisemitismus nimmt dort seit dem 7. Oktober zu – und auch der wachsende Hass auf Muslime als angebliche Hamas-Sympathisanten ist für viele deutlich spürbar. Während medial laute Minderheiten die Debatte um den Gaza-Krieg bestimmen, sucht das Autorenpaar Mendel-Cheema die Differenzierung. Und findet sie gerade in kleinen Gemeinden wie in Herne.
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30. Todestag von Curt Cobain
Rockmusiker Curt Cobain war schon als Kind manisch depressiv. Vor 30 Jahren, nachdem er längst zu einer Legende geworden war, nahm er sich selbst das Leben. Seine Musik prägte eine ganze Generation und tut es auch heute noch.